Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Auch Hakan Bokül belehrte sie nicht. „Wie geht es dir?“, fragte sie unverbindlich über Facebook nach der Veranstaltung. Er schrieb ihr von seinen Ängsten, den Zweifeln an seinen neuen Glaubensbrüdern. Sie ermunterte ihn, den eigenen Kopf zu gebrauchen, und bot ihm ein Treffen an. Beim ersten Mal erzählte er von seinen Eltern, die ihre Religion ignoriert hätten, vielleicht aus Angst vor Diskriminierung. Er habe sich nirgendwo zugehörig gefühlt. Am Ende des Gesprächs fragte Dua ihn, ob er ihr bei der nächsten Veranstaltung beim Aufbau helfen könnte. Später wollte sie seine Meinung hören, was denn Themen künftiger Veranstaltungen sein könnten. Sie bat ihn sogar, sie bei der Moderation zu unterstützen. Irgendwann wagte Hakan Bokül den Rückzug aus der Salafistengruppe. „Dann geh doch zu Mama Dua“, sagten die Zurückgelassenen abfällig. Seitdem erhält Dua hin und wieder anonyme E-Mails mit Botschaften wie „Fürchte Gott!“. Doch davon lasse sie sich nicht verunsichern, sagt sie.

 

Ihre stille Form der Prävention steht im Gegensatz zu den kostspieligen und glücklosen Maßnahmen des Bundesinnenministeriums. Die geplante Plakataktion, die einen bärtigen Mann und eine Frau mit Kopftuch zeigt, darunter der Appell, sich ans Innenministerium zu wenden, wenn Bekannte oder Verwandte „immer radikaler“ werden, stieß in der muslimischen Welt auf Entsetzen. Der Gebrauch von Stereotypen, der die Muslime unter Generalverdacht stellt, zeige, „wie wenig die deutsche Politik von der Gefühlslage der Muslime in Deutschland begriffen hat“, stellt Dua fest.

Auch die Hotline für Aussteiger, die der Verfassungsschutz vor drei Jahren eingerichtet hat, wird nicht so angenommen wie erhofft. „Ein staatliches Programm ist keine Instanz, an die man sich wendet, wenn man diese Gesellschaft vorher abgelehnt hat“, kritisierte der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch bei ihrer Einführung. Das neue Aussteigerprogramm „Wegweiser“, das Nordrhein-Westfalen anbietet, setzt dagegen stärker auf Akteure innerhalb der muslimischen Gemeinde. Doch die Experten versprechen sich auch davon nicht viel. „Prävention muss früher ansetzen“, sagt der Islamwissenschaftler Rauf Ceylan. „Am besten schon im Vorschulalter.“

Wenn die Religion Platz in der Gesellschaft hat

Ceylan plädiert dafür, dass schon im Kindergarten über den Ramadan gesprochen wird und Moscheen besucht werden. „Wenn Kinder spüren, dass ihre Religion einen Platz in der Gesellschaft hat, sind sie später am besten geschützt vor den Fängen der Salafisten“, sagt er. Für überfällig halte er einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht – eine Forderung aus den siebziger Jahren, die bis heute nicht umgesetzt wurde. Die wirksamste Prävention ist für Ceylan letztlich nichts anderes als eine „echte Integration“.

Gleichzeitig mangelt es an deutschsprachigen Imamen, die mit diesen Jugendlichen auf Augenhöhe kommunizieren können. Das beobachtet der Osnabrücker Islamwissenschaftler Rauf Ceylan, der im Rahmen einer Studie mit 250 von insgesamt 2000 Imamen in Deutschland gesprochen hat. „Die meisten sind selbst nicht in der deutschen Gesellschaft angekommen“, sagt Ceylan. Viele seien türkische Staatsbeamte, die nach vier Jahren wieder zurück in ihre Heimat kehrten. „Ihre Predigten gehen an der Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland völlig vorbei.“ Zwar werden in wenigen Jahren die ersten in Deutschland ausgebildeten Imame ihre Arbeit aufnehmen – vor zwei Jahren haben die ersten Universitäten das Fach „Islamische Theologie“ eingeführt, aber noch immer ist unklar, wer die neue Imam-Generation bezahlen wird.

Die Syrerin fühlte sich lange Zeit selbst ausgegrenzt

Dua Zeitun teilt mit etlichen Jugendlichen die Erfahrung, sich ausgegrenzt zu fühlen. Sie wuchs in einem kleinen Kurort in der Nähe von Osnabrück auf, wo man weite Bogen um Mädchen mit Kopftüchern macht. Ihr, der

Die Syrerin Dua Zeitun ist die Tochter eines Imams und setzt sich für den interreligiösen Dialog ein. Foto: Lachenmann
Tochter eines syrischen Imams, die fünfmal am Tag betet und zwischendurch auf Facebook auch mal Witze über gescheiterte Diäten macht, vertrauen sich die jungen Muslime an. Fragen wie „Verbietet es der Koran, dass ich vor der Ehe einen Freund habe?“ gehören zu ihrer Spezialität. „Alle scharen sich um Dua“, schwärmt Liliya, eine Studentin aus Russland. „Allen gibt sie Rat.“

Dabei ist Dua stets bedacht, zwischen Christentum und Islam zu vermitteln. Ihr Vater Abdul-Jalil Zeitun gehört zu den wenigen Imamen, die Kontakte zu Kirche und Politik pflegen. Seine Tochter schickte er in einen katholischen Kindergarten. Heute ist Dua für das Bistum Osnabrück die Projektverantwortliche für den interreligiösen Dialog. Sie kann über Jesus’ Rolle im Islam genauso diskutieren wie über die Frage, ob Unverheiratete sich die Augenbrauen zupfen dürfen. Die heißesten Debatten führt sie mit ihren eigenen Kindern, die allmählich in die Pubertät kommen. Empfindlich reagiert sie auf die Wortwahl der Medien, wenn es um den Islam geht. Als der Berliner Tagesspiegel Walter Steinmeiers neue Sprecherin Sawsan Chebli als „strenggläubig“ bezeichnete, weil diese angab, keinen Alkohol zu trinken und kein Schweinefleisch zu essen, fragte sich Dua verärgert: „Was bin ich denn dann? Radikal?“

Dua beherrscht die Klaviatur der sozialen Netzwerke

Sie macht keinen Hehl daraus, mit ähnlichen Mitteln wie Pierre Vogel um die Gunst der Jugendlichen zu buhlen. Auch sie beherrscht den Jugendslang, findet Dinge „krass“ oder „cool“, wenn sie junge Leute auf der Straße anquatscht und zu ihren Veranstaltungen einlädt. Und sie beherrscht die Klaviatur der sozialen Netzwerke, über die sie potenzielle „Freunde“ gezielt „stalked“, wie sie sagt. Ihre Zielgruppe seien junge Muslime, die nach Spiritualität suchen und salafistische Webseiten konsultieren. Die auf einmal Symbole aus Säbel und Koran posten, auf „Scheißdeutschland“ schimpfen oder andere Muslime als Ungläubige, als „Kuffar“, bezeichnen. So sind unter ihren „Freunden“ etliche, die auch Pierre Vogel als „Freund“ haben und seine Videobotschaften mit „Gefällt mir“ posten.

Der Salafisten-Popstar, der mit seiner Mischung aus rheinischem Singsang und fließendem Hocharabisch viele Muslime beeindruckt, ist Duas persönlicher Rivale, auch wenn sie sich nicht feindselig gibt. Als drei Mädchen aus ihrer Gemeinde nach Münster fahren wollten, um den Prediger live zu erleben, ging sie einfach mit. „Den find ich auch spannend“, sagte sie. Doch während seines Auftritts zeigte sie sich erstaunt über seine Selbstinszenierung, die bulligen Bodyguards, das protzige Werbebanner mit seiner Website. „Ob das wirklich in Allahs Sinne ist?“, fragte sie die Mädchen. Eine von ihnen löschte danach Pierre Vogel aus ihrem „Freunde“-Verzeichnis. Immerhin, findet Dua.

Bokül wagt den Rückzug aus der Salafistengruppe

Auch Hakan Bokül belehrte sie nicht. „Wie geht es dir?“, fragte sie unverbindlich über Facebook nach der Veranstaltung. Er schrieb ihr von seinen Ängsten, den Zweifeln an seinen neuen Glaubensbrüdern. Sie ermunterte ihn, den eigenen Kopf zu gebrauchen, und bot ihm ein Treffen an. Beim ersten Mal erzählte er von seinen Eltern, die ihre Religion ignoriert hätten, vielleicht aus Angst vor Diskriminierung. Er habe sich nirgendwo zugehörig gefühlt. Am Ende des Gesprächs fragte Dua ihn, ob er ihr bei der nächsten Veranstaltung beim Aufbau helfen könnte. Später wollte sie seine Meinung hören, was denn Themen künftiger Veranstaltungen sein könnten. Sie bat ihn sogar, sie bei der Moderation zu unterstützen. Irgendwann wagte Hakan Bokül den Rückzug aus der Salafistengruppe. „Dann geh doch zu Mama Dua“, sagten die Zurückgelassenen abfällig. Seitdem erhält Dua hin und wieder anonyme E-Mails mit Botschaften wie „Fürchte Gott!“. Doch davon lasse sie sich nicht verunsichern, sagt sie.

Ihre stille Form der Prävention steht im Gegensatz zu den kostspieligen und glücklosen Maßnahmen des Bundesinnenministeriums. Die geplante Plakataktion, die einen bärtigen Mann und eine Frau mit Kopftuch zeigt, darunter der Appell, sich ans Innenministerium zu wenden, wenn Bekannte oder Verwandte „immer radikaler“ werden, stieß in der muslimischen Welt auf Entsetzen. Der Gebrauch von Stereotypen, der die Muslime unter Generalverdacht stellt, zeige, „wie wenig die deutsche Politik von der Gefühlslage der Muslime in Deutschland begriffen hat“, stellt Dua fest.

Auch die Hotline für Aussteiger, die der Verfassungsschutz vor drei Jahren eingerichtet hat, wird nicht so angenommen wie erhofft. „Ein staatliches Programm ist keine Instanz, an die man sich wendet, wenn man diese Gesellschaft vorher abgelehnt hat“, kritisierte der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch bei ihrer Einführung. Das neue Aussteigerprogramm „Wegweiser“, das Nordrhein-Westfalen anbietet, setzt dagegen stärker auf Akteure innerhalb der muslimischen Gemeinde. Doch die Experten versprechen sich auch davon nicht viel. „Prävention muss früher ansetzen“, sagt der Islamwissenschaftler Rauf Ceylan. „Am besten schon im Vorschulalter.“

Wenn die Religion Platz in der Gesellschaft hat

Ceylan plädiert dafür, dass schon im Kindergarten über den Ramadan gesprochen wird und Moscheen besucht werden. „Wenn Kinder spüren, dass ihre Religion einen Platz in der Gesellschaft hat, sind sie später am besten geschützt vor den Fängen der Salafisten“, sagt er. Für überfällig halte er einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht – eine Forderung aus den siebziger Jahren, die bis heute nicht umgesetzt wurde. Die wirksamste Prävention ist für Ceylan letztlich nichts anderes als eine „echte Integration“.

Doch bis diese in Deutschland gelingt, dürften nach Ansicht des Osnabrücker Islamwissenschaftlers noch einige Jahrzehnte verstreichen. Bis dahin wird Dua Zeitun weiterhin „Feuerwehr“ spielen, wie sie sagt. Ihr ist bewusst, dass sie bei ihrer Arbeit professionelle Hilfe gebrauchen könnte. Darum hat sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Gelder beantragt, um sich Verstärkung zu holen. „Ein Psychologe an meiner Seite wäre nicht verkehrt“, sagt sie – und zeigt zum ersten Mal so etwas wie Furcht. „Ich weiß ja nie genau, mit wem ich es da draußen zu tun habe.“