Das war wohl nichts. Bei den Salzburger-Festspielen macht der Regisseur Peter Stein Franz Schuberts Oper „Fierrabras“ lächerlich. Die Inszenierung ist grau und grauenvoll.

Salzburg - Die Oper erzählt die Geschichte von fünf Jugendlichen, die Liebe und Freundschaft bindet. Sie sind unterschiedlichen Standes und Kinder feindlicher Herrscher. So beschrieb die mit dem russischen Formalismus wohl vertraute Ruth Berghaus die Fabula der „heroisch-romantischen“ Oper „Fierrabras“ von Franz Schubert. Zwei Sätze, in denen Sehnsucht, Schrecken und Geheimnis aufscheinen und die dem Stoff nach einem altfranzösischen Heldenepos und der Sage „Eginhard und Emma“ eine Gegenwartsperspektive eröffnen.

 

Berghaus wusste, wovon sie sprach. Mit dem Dirigenten Claudio Abbado entbarg die 1996 gestorbene Regisseurin Schuberts vorletzte Oper dem Vergessen. 1988 ist das gewesen, bei den Wiener Festwochen. Seither lässt sich nicht mehr behaupten, dass Schubert ein Genie ist, was Lieder, Klavier- und Kammermusik betrifft, als Bühnenkomponist aber ein toter Fisch. Etliches unter den 18 Bühnenprojekten ist musikalisch kostbar, aber auch unter musikdramatischen Gesichtspunkten von Rang. Beim 1823 entstandenen „Fierrabras“ bietet beinahe jede Nummer kompositorisch Originelles, da fällt der eine oder andere Moment von Liederkaffeekranz nicht ins Gewicht.

Den erneuten Beleg lieferte jetzt die erstmalige Aufführung des Dreiakters bei den Salzburger Festspielen. Ursprünglich sollte Nikolaus Harnoncourt die Produktion dirigieren; aus gesundheitlichen Gründen sagte der bald 85-Jährige ab. Ingo Metzmacher sprang ein, der bei der Vorbereitung von „vielen interessanten Hinweisen“ des Älteren profitierte. Metzmacher hat die Wiener Philharmoniker gut im Griff. Im Graben fächern sich die Streicher von links bis in die Mitte auf, das Zentrum bilden die Bässe, rechts sitzen kompakt Holz- und Blechbläser wie das Schlagwerk. Das Klangbild gewinnt so Trennschärfe und Transparenz in der ohnehin trockenen Akustik im Haus für Mozart. Mit ausgeklügelter Dynamik und gutem Kontakt zur Bühne tut Metzmacher, was er kann, das stellenweise hell lodernde Feuer auf die Szene zu tragen.

Dort müsste im idealen Fall ein empfangsbereiter Regisseur alles präpariert haben, um der von Berghaus erkannten Deutungsweite der Fabel ein sinniges Sujet zu geben – trotz dramaturgischer Ungeschicklichkeiten, Handlungsbrüchen und Drolligkeiten in Joseph Kupelwiesers Libretto: „Wenn Jubellieder schallen, muss auch die Palme blühn“ schmettert der Chor. Das reimklingelt an anderer Stelle selten besser.

Die Geschichte selbst ist nicht so kraus, wie oft behauptet: hie die Franken, angeführt von König Karl, dessen Tochter Emma den nicht standesgemäßen Ritter Eginhard liebt, dort der feindliche Maurenkönig Boland samt seiner Kinder Fierrabras und Florinda. Florinda verliebte sich einst in Rom in den Franken Roland, der nun Fierrabras im Kampf besiegt hat. Als eine Abordnung der Ritter bei den Mauren den Frieden verhandeln will, werden sie, darunter Roland, festgesetzt. Florinda will mit dem Geliebten sterben. Am Ende siegen die Christen, finden sich die Paare, nur der ebenfalls in Emma verliebte Fierrabras geht leer aus – ihm bleiben die neuen Freunde der Ritterrunde. Möglicherweise ist der Held eine Schubert’sche Projektion eigener Versagungen und Einsamkeiten.

Jedenfalls ein Stoff, an dem sich allein psychologisch einiges entwickeln ließe, denn Schubert leuchtet in die Beziehungen der Personen, ihre Gefühle. Umwerfend etwa Florindas rasende Arie „Die Brust, gebeugt von Sorgen“, mit der sie zur Befreiung Rolands stürmt. Auch das Finale dieses zweiten Aktes mit dem eindrücklichen Melodram, einer Teichoskopie, in der Florinda vom Turm aus den scheiternden Fluchtversuch des Geliebten beobachtend schildert, gehört zu den originellsten Musiktheaterfindungen der Zeit.

Was macht Peter Stein daraus, dieser einst Große des Theaters? Nichts. Außer die gesprochenen Dialoge zwischen den Musiknummern dezent zu bearbeiten. In einem Pressegespräch vor der Premiere erklärte er, er halte den Text des „merkwürdigen Stücks“ für „grauenvoll“. „Quasi konzertant in Kostümen mit Dekoration“ habe er die Oper machen wollen: „Ich habe keine Regieidee vorgeschoben.“

Steins Inszenierung grau und grauenvoll

Genau so inszenierte Stein „Fierrabras“: grauenvoll. Und grau. Ferdinand Wögerbauer (Bühne) und Annamaria Heinrich (Kostüme) belassen das Stück im Mittelalter. Nicht in Form eines Zitats, einer Künstlichkeit, die über sich selbst hinausweisen würde. Die schwarz-weiße Illusionsbühne ist die des 19. Jahrhunderts, Gassentheater samt Soffitten und Hängern, auf die Bäume, Torbögen, Festsäle gemalt sind. Das Proszenium gleicht dem Rahmen eines Kupferstichs aus dem späten 16. Jahrhundert, die Kostüme folgen dem Biedermeierverständnis von Mittelalter. Kettenhemden, geflochtene Haare, gegürtete Edelfräulein. Als seien die Figuren aus einem Bilderbuch geschnitten, stehen sie nun wie aus Papier auf der Bühne, weiß und unbeschrieben. Weswegen sie wohl, um Leben zu simulieren, barmen, zagen, zittern. Überkommt Fierrabras Wut, lässt er den Umhang dramatisch knattern, während Emma traurig die Hand unter den Busen drückt. Ach.

Es ist erstaunlich, dass die Sänger nicht zerknittert und seelenarm aus diesem Vom-Blatt-auf-die-Bühne-Schieben hervorgehen. Sie ziehen singend mehr aus Schuberts Untergründen als die Regie. Heroisch Dorothea Röschmann, die wie Georg Zeppenfeld als König Karl so artifiziell „natürlich“ spricht, wie sie innig oder glühend singt. Julia Kleiter als Emma ist auf dem Weg zu dramatischeren Sopranrollen, ohne ihre buttrige Mittellage einzubüßen, Benjamin Bernheim als Eginhard, ein wenig hölzern, kompensiert das mit kräftigem Tenorstrahl, und Markus Werba als Roland ist ein verlässlicher Sympathieträger. Michael Schade scheint sich in dem Dino-Theater herzlich wohlzufühlen – und führt entsprechend seinen Tenor: grobkörnig durch die Lagen.

Als zum Friedensjubelchor am Schluss die Prospekte etwas tanzen und rückwärtig sich ein riesiges rotes Herz zeigt, über dem sich zwei Palmzweige kreuzen, geht ein Geräusch durchs Publikum: Glucksen oder Ächzen? Gemütliches Einverständnis oder Fassungslosigkeit? Einerlei.