Bei den Salzburger Festspielen zwingen der Dirigent Teodor Currentzis und der Regisseur Romeo Castellucci Bartóks „Blaubart“ und Orffs Oratorium „De fine temporum comoedia“ zusammen: ein langes, dunkles Experiment.

Ein Säugling schreit. Eine Frau weint. Brennende Buchstaben formen ein „Ich“ aus Flammen. Männer nageln frisches Grün an einen kahlen Baum. Und „meine Haut“ steht auf einer Plane, die am Ende des fast vierstündigen Abends im Hintergrund der Salzburger Felsenreitschule hängt. Bilder wie diese können nur von einem stammen: Wie kein anderer seiner Zunft steht der Regisseur Romeo Castellucci für szenische Zeichen, die weniger Erklärungen liefern als Denkräume öffnen. Jetzt hat der Italiener Bilder für einen Abend erfunden, an dem sehr Unterschiedliches zusammenfinden soll: Béla Bartóks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ von 1918 und Carl Orffs Oratorienoper „De temporum finis comoedia“ in ihrer letzten Fassung von 1981. Hier ein tiefenpsychologisches Zwei-Personen-Kammerspiel, dort ein monumentales Chorwerk mitsamt Theodizee-Diskurs, Endzeit- und Erlösungsvisionen: Die Kombination wirft viele Fragen auf.

 

Das ist aber nicht der Grund, weshalb vor der Premiere am Dienstagabend eine Hundertschaft beharrlicher Menschen lautstark den Einzug der österreichischen Prominenz ins Festspielhaus flankiert. Kunst, liest man auf Plakaten, sei „eine gefügige Schwester der kapitalistischen Wölfe im Schafspelz“. Damit ist wohl der oft ziemlich sorg- (oder: skrupel-?)lose Umgang der Salzburger Festspiele mit ihren Sponsoren gemeint. Zwei Worte auf einem Banner richten sich aber direkt gegen den Dirigenten, der die Aufführung leitet: „Musikoligarchen“ und „Autokratieprofiteure“ – das gilt Teodor Currentzis.

Dunkler See und Feuerzeichen

Der mit seinem Ensemble in Russland residierende Grieche steht wegen seiner bis heute von ihm nicht kommentierten Nähe zu kremlnahen Finanziers zurzeit stark unter Beschuss. Das ist aber nicht der Grund, warum er sich zu Beginn des Abends im Dunkeln den Weg zum Gustav-Mahler-Jugendorchester bahnt. Nein: Das Dunkel ist hier künstlerisches Programm. Béla Balázs’ symbolreiches Libretto zu Bartóks Einakter setzt stark auf Hell-Dunkel-Kontraste, und auch auf der Bühne haben die Chiffren, die dem Schwarz erwachsen, eine archaische Kraft. Feuerzeichen beleuchten die Gesichter der Frau und des Mannes, die einander begehren, aber nie zueinanderkommen. Auf Castelluccis Bühne waten Mika Kares als Blaubart und Ausrine Stundyte als Judith im Wasser, dem Tränensee von Blaubarts verstorbenen Frauen, greifen – ganz nah an der Musik – die Tanzbewegungen im Orchester auf, wiegen ihre Körper im fahlen Licht und singen dabei mit Klarheit und Hingabe. Obendrein dreht der Regisseur die Verhältnisse um: Bei ihm ist es die fragende (tatsächlich hier oft fast klischeehaft hysterische) Frau, von der Schmerz und Schuld ausgehen. Ihr Begehren ist Besitzenwollen. Wer den Säuglingsschrei des Anfangs dazudenkt, entdeckt noch vieles in diesem rätselhaften Assoziationskosmos – kommt schnell auf Trauma und Psychose.

Die starke, rätselhafte Nachfantasie endet wieder im Dunkel – und Teodor Currentzis, der zuvor schon das bildliche Spiel der Gegensätze mit wirkungsvollen dynamischen Kontrasten flankierte, lässt dieses Finale in feinstem Pianissimo versinken.

Leider dauert die Erlösungsfantasie danach noch fast zwei Stunden, und die sind entsetzlich lang. Carl Orffs letztes Bühnenwerk ist gehalten im typischen Orff-Ton: mit viel rhythmischem Skandieren und litaneiartigem Sprechen im Chor, reichlich treibenden Phrasen-Wiederholungen im großen Orchester, dazwischen virtuosen solistischen Klangkaskaden, sattem Schlagwerk, strahlendem Blech.

Es verbindet sibyllinische Weissagungen mit orphischen Gesängen; am Ende des Stücks und der Welt wird die Schuld vergeben, der gefallene Engel Luzifer verwandelt sich zurück in den Lichtbringer, der er einst war, und aus der Ferne umkreisen vier Gamben kanonisch einen Bach-Choral. Die Choreografin Cindy Van Acker formt aus den Sängern des Musicaeterna-Ensembles und des Salzburger Bachchors vielköpfige menschliche Skulpturen, großflächige, bewegte Tableaus erst aus weiblichen Sibyllen, dann aus männlichen Mönchen. Und am Ende, zu sphärischen Klängen einer Glasharmonika, wird auch das Paar von Bartóks Stück Teil der großen Erlösung. „Du bist der Tröster, das letzte Ziel“, singt ein Solo-Tenor, und Judith, zu Beginn von Orffs Werk noch gesteinigt, nimmt ihren Blaubart fest an der Hand.

Zu Orffs Opernoratorium gibt es vielköpfige menschliche Skulpturen

Das Publikum klatscht freundlich. Keine Kritik am umstrittenen Dirigenten. Für Buhs sind in Salzburg die Karten zu teuer. Und Currentzis hat, auch wenn die hinzugefügten freien Passagen im Orchester den Abend zusätzlich verlängern, als Künstler hier Gutes geleistet – auch bei der Koordination von Orffs großen Ensembles und der Aktionen auf der Bühne mit Fernchören und -ensembles. Das sitzt, das macht Wirkung. Dennoch, ganz ehrlich: Man kann alles Mögliche dramaturgisch zusammendenken. Diese Werkkombination und den verbrämten späten Orff braucht aber keiner.