Der SV Sandhausen startet durch: Der Dorfverein aus Nordbaden überrascht in der zweiten Fußball-Liga. Nicht zuletzt dank einem Schwaben: Trainer Alois Schwartz, der einst bei den Stuttgarter Kickers gekickt hat.

Sandhausen - Zum Glück gibt es Navigationsgeräte. A5, Ausfahrt Walldorf/Wiesloch. Die Zieladresse in Sandhausen ist nur noch ein paar Kilometer entfernt, aber ein Straßenschild ist nicht zu sehen. Links ein gewaltiges Ikea-Gebäude, rechts am Horizont die SAP-Zentrale. Das Navi sagt links und dann geht es in den Wald. Nach drei Minuten lichten sich die Bäume und es taucht das Hardtwaldstadion auf – die Heimat des SV Sandhausen, der gerade als Deutschlands erfolgreichster Dorfverein Aufmerksamkeit erregt. 15 300 Zuschauer gehen in die vereinseigene Fußballarena, aber selbst wenn jeder Sandhäuser zu den Heimspielen des Zweitligisten kommen würde, wären noch gut 700 Plätze frei.

 

Willkommen in der Fußballprovinz. Früher hat man hier Tabak angebaut, heute pendeln die Menschen zum Arbeiten beispielsweise ins acht Kilometer entfernte Heidelberg. Sandhausen ist Deutschlands kleinste Gemeinde in der zweiten Liga, der Etat des SV für die Profis mit knapp zehn Millionen Euro nicht viel höher als die Summe, die RB Leipzig vor der Saison als Ablöse für Davie Selke nach Bremen überwiesen hat (acht Millionen). Dafür spielt der Verein, bei dem einst der DFB-Sportdirektor Hansi Flick das Kicken lernte, aber ganz ordentlich mit: 26 Punkte gab es bis jetzt, einen 6:0-Sieg bei Bundesligaabsteiger Paderborn, Platz sieben nach dem ersten Spiel der Rückrunde.

Punktverlust am grünen Tisch

Das ist bisher die beste Saison in der knapp 100-jährigen Vereinsgeschichte. Sportlich sind es sogar 29 Punkte und Platz vier, aber die DFL hat wegen eines Verstoßes gegen Lizenzierungsbestimmungen zum Rundenstart wie schon in der vergangenen Saison drei Punkte abgezogen. Was genau passiert ist, darüber spricht man nicht so gerne. Aber es scheint ein Fehler aus Unwissenheit gewesen zu sein. Die DFL verlangt von den Clubs eine ständige Euro-Reserve auf einem Konto, die der SV offenbar kurzzeitig nicht hatte, da Gelder unglücklich transferiert worden waren. Ändern lässt sich das nicht mehr, aber „für sechs Punkte Abzug musst du normal einen erschießen“, ärgert sich der Trainer Alois Schwartz über die harte Strafe.

Der Schwabe aus Nürtingen, der unter anderem sechs Jahre bei den Stuttgarter Kickers in der ersten und zweiten Liga spielte, gilt als Architekt des Erfolgs. 2013 war der heute 48-Jährige für einen Neuaufbau in der dritten Liga verpflichtet worden. Sportlich war Sandhausen zwar abgestiegen, aber da Duisburg keine Lizenz bekam, waren die Badener wieder drin. Und das nicht schlecht. Platz zwölf in der ersten Saison unter Schwartz, Platz zwölf auch in der Saison 2014/15 trotz dreier Punkte Abzug und dann die aktuelle Saison, die den SV zeitweise in Aufstiegsnähe brachte.

Eine erstaunliche Entwicklung, selbst ein Stück weit für den Trainer, der sich überaus engagiert hat. Da ist nicht mehr viel übrig von dem lockeren Profi mit dem wehenden Haar und dem kecken Schnauzer, den alle nur „Alu“ nannten. Trainer Schwartz trägt die Haare kurz und straff nach hinten, der Bart ist ab und kicken geht auch nicht mehr, das Knie. Aber arbeiten: „Du musst“, sagt er, „schnell auf dem Markt sein und eine Nase für Talente haben.“

„Spektakulärster Neuzugang seit Jahren“

Sandhausen rekrutiert seine Spieler überwiegend aus den Farm-Teams der Erstligisten in der Regionalliga. Schwartz schart junge Leute um sich, die es ganz oben nicht geschafft haben, oder Spieler, deren Entwicklung stockt, wie die des polnischen Nationalspielers Jakub Kosecki. Zusammen mit dem Manager Otmar Schork konnte Schwartz den 25-Jährigen von Legia Warschau leihweise in die Provinz locken. Die örtliche „Rhein-Neckar-Zeitung“ bezeichnet Kosecki als „spektakulärsten Neuzugang seit Jahren“.

Schwartz und sein Trainerteam, zu dem seit dieser Saison auch der Ex-Kickers-Profi Dimitrios Moutas gehört, fordert von seinen Profis vor allem vier Dinge: Den Willen zu lernen, Disziplin, Teamgeist und Ehrlichkeit. „Und sie müssen hungrig sein“, sagt er. So spricht etwa auch der Freiburger Coach Christian Streich. Das Konzept scheint zu funktionieren: Schwartz wird schon von Bundesligaclubs beobachtet. Offenbar auch vom VfB Stuttgart. „Wenn ich da tatsächlich auf einer Liste stehe, ehrt mich das natürlich sehr“, sagt der Schwabe mit Wohnsitz Mannheim – auch diese Entscheidung wurde bewusst vom strukturierten Arbeiter Schwartz getroffen. Als er 2002 Trainer wurde, suchte er für die Familie einen Wohnort, „von dem aus in einem Radius von 250 Kilometern die meisten Proficlubs liegen“.

Der Schwabe Schwartz wohnt in Mannheim

Also Mannheim, von dort sind es gerade mal 25 Kilometer nach Sandhausen. Dafür hat er jetzt mehr Zeit, auch um mit Manager Schork am 28er Kader zu basteln. Bisher funktioniert das System mit den jungen Hungrigen. Azis Bouhaddouz, mit sieben Treffen Top-Torschütze, kam zum Beispiel von Leverkusen II, Andrew Wootens (sechs Treffer) Karriere war in Kaiserslautern ins Stocken geraten. Dazu gilt die Innenverteidigung mit Tim Kister und Florian Hübner als echte Bank, Torhüter Marco Knaller als einer der besten Keeper in der zweiten Liga. Und mit 27 Toren in der Vorrunde braucht sich Sandhausen in der r Liga auch nicht zu verstecken.

Nur so richtig angekommen zu sein scheint der Erfolg des SV in der Stadt noch nicht. Auswärts ist Sandhausen stärker, in dieser Tabelle sogar Zweiter, ins eigene Hardtwaldstadion kommen dagegen im Schnitt nur etwas über 6000 Zuschauer. Und die „sind sehr anspruchsvoll“, wie Alois Schwartz erklärt. Ein Unentschieden ist da schon beinahe eine Katastrophe. Deshalb wünscht sich der Trainer, „dass unsere Leistung im Umfeld mehr gewürdigt und angenommen wird“. Dann könne noch so manches passieren, nur nicht Bundesliga. „Da gehören wir definitiv nicht hin“, sagt Schwartz, der natürlich trotzdem jedes Spiel gewinnen will.

Der Trainer verabschiedet sich zurück in sein Büro. Das Navi deutet rechts weg in den Wald und spricht: „Nehmen sie die Straße ohne Namen.“