Das sieht man nicht alle Tage: Ein Dach wird über Stahlträger von einem Kran angehoben und macht sich ab durch die Luft. Was steckt dahinter? Und warum ist das trotz Denkmalschutz erlaubt?

Filderzeitung: Rebecca Anna Fritzsche (fri)

Pünktlich zu Beginn hat es ein wenig zu nieseln begonnen, aber das hält niemandem ab: Das Dach der Musberger Pfarrscheuer ist in Planen verpackt und an Stahlträger und Ketten gehängt worden. Und dann setzt es sich in Bewegung: Zuerst sind es nur Millimeter, dann geht es immer weiter nach oben. Der Kran hebt das Dach ab, immer höher und immer höher, trägt es Richtung Dreifaltigkeitskirche. Auf dem – genau ausgemessenen – Raum zwischen Kirche, Pfarrhaus und Pfarrscheuer lässt der Kran das Dach wieder hinunter, bis es auf Holzträgern abgesetzt wird. Jetzt hat Pfarrer Balles, der mit seiner Familie im ersten Stock des Pfarrhauses wohnt, das Dach direkt vor den Fenstern. „Jetzt kann uns von der Straßenseite her wenigstens niemand in die Küche schauen“, scherzt er.

 

Das Dach auf Wanderschaft hat viele Schaulustige angezogen, die in sicherer Entfernung das Geschehen verfolgen – besonders einige Kinder sind völlig fasziniert von den großen Gerätschaften im Einsatz. Auch Pfarrer Lukas Balles verrät: „Unser kleiner Sohn wollte heute nicht in den Kindergarten, er schaut seit heute morgen aus dem Fenster.“ Nachvollziehbar ist das freilich, sieht man doch nicht alle Tage, wie ein Dach sich in die Lüfte erhebt.

Ein langer Weg zur Sanierung

Am Fenster im ersten Stock des alten Gemeindezentrums schauen auch Heinrich Hegger, der Vorsitzende des Bauausschusses der evangelischen Kirchengemeinde Musberg, und Rainer Häußler zu, Musbergs letzter Bürgermeister, bevor der Ort 1975 nach Leinfelden-Echterdingen eingemeindet wurde. „Das ist gut, dass wir das noch gemacht haben, Heinrich“, sagt Häußler. Dem schwebenden Dach ist ein langer Prozess vorangegangen: Schon 2015 gab es eine Bauforschung und erste Pläne zur Sanierung.

Als es nun endlich losgehen sollte, kam zuerst das Pfarrhaus mit der Sanierung dran, schließlich sollte die Pfarrfamilie hier wieder wohnen können, und das Pfarramt sollte im Erdgeschoss untergebracht sein. Seit 2022 ist das Pfarrhaus fertig, die Sanierung wurde jüngst mit einem Preis ausgezeichnet. Jetzt ist die Zeit für das „Säle“ gekommen. Und die Sanierung wird nicht einfach werden, wie auch der zuständige Architekt Nikolai Ziegler weiß. Verformungen, Setzungen und Schäden am Fachwerk sind nur einige der Probleme, die in der Pfarrscheuer behoben werden müssen. Der große Plan lautet: Ein Untergeschoss soll eingefügt werden, das Erdgeschoss soll stabilisiert und restauriert werden, damit hier der historische Gemeindesaal wieder hergestellt werden kann. Im Obergeschoss soll Platz für Gruppenräume sein. „Ein Dach abzuheben und ein Untergeschoss einzufügen – das ist auch für mich außergewöhnlich“, sagt Ziegler. Nur dank der Unterstützung von Oberkirchenrat und Denkmalamt habe man das Vorhaben umsetzen können.

Auch für das Landesamt für Denkmalpflege ist die Sanierung der Pfarrscheuer ein Sonderfall. „Normalerweise bestehen wir darauf, dass Gebäude am Ort, also ‚in situ’, saniert werden“, berichtet Karsten Preßler. Aber hier bestehe das historische Ensemble, also Pfarrscheuer und Pfarrhaus zusammen. „Solche Pfarrensembles sind in seltenen Fällen ganz erhalten, wie es hier der Fall ist“, so Preßler. Die Pfarrscheuer als Teil des Ensembles zu sehen, habe hier weitergehende Maßnahmen, wie das Abnehmen des Daches und die Unterkellerung, ermöglicht.

Die Puzzleteile werden wieder zusammengefügt

Zunächst soll nun das neue Untergeschoss eingebaut werden, zuvor sind archäologische Untersuchungen des Untergrunds geplant. Später wird dann das Erdgeschoss wieder aufgebaut, das Fachwerk gerichtet. Historische Fenster, Türen und Wandvertäfelungen sind vorsichtig abgebaut worden und werden restauriert, damit sie später wieder eingebaut werden können. Wenn das alles erledigt ist, kann das Dach wieder aufgesetzt werden. „Dann werden die Puzzleteile wieder zusammengefügt“, sagt Ziegler. Voraussichtlich im Herbst 2026 könnte das geschehen, wenn alles klappt.

Restauriert und mit Planen geschützt, hat sich das Dach nun auf seine kurze Reise gemacht. Nikolai Ziegler ist zufrieden. „Da waren viele Kollegen mit viel Wissen dran beteiligt“, sagt er und verweist auf die beteiligten Zimmerleute. In der jetzt ohne Dach da stehenden Pfarrscheuer gibt es jetzt für alle Beteiligten einen Happen zu essen – und dann geht es weiter. Bis das „Säle“ genauso in neuem Glanz erstrahlt, wie das Pfarrhaus nebenan, ist noch viel zu tun.

Was das Denkmalamt sagt

Historie
Die Pfarrscheuer gehört mit Dreifaltigkeitskirche und Pfarrhaus zum ortskernprägenden Ensemble „Pfarrhof Musberg“. Die Scheuer, im Ort liebevoll „Säle“ genannt, geht zurück auf das Jahr 1581, ab dem Jahr 1927 wurde sie als Gemeindesaal verwendet, weil die Gemeinde wuchs und mehr Platz brauchte. Die Gemeinde wuchs dann weiter, weshalb das neue Gemeindezentrum gebaut wurde – ab da war das „Säle“ obsolet.

Idee
 Da die evangelische Kirchengemeinde aktuell wieder etwa so viele Mitglieder hat wie 1927 – etwa 2000 sind es – , kam die Idee auf, die Pfarrscheuer wieder zu aktivieren und für die Nutzung seitens der Gemeinde zu sanieren. Architekt Nikolai Ziegler – selbst Musberger – betreut mit seiner Firma Aedis, die auf solche denkmalgeschützten Restaurierungen spezialisiert ist, das Vorhaben.