Die EU ringt sich dazu durch, die Sanktionen gegen Russland weiter zu verschärfen. Mehr als 20 Politiker dürfen nicht mehr in den Westen einreisen. Die Durchschlagskraft dieser Aktion wird freilich selbst in Brüssel bezweifelt.

Brüssel - Der Zufall wollte es, dass die reguläre monatliche Sitzung der EU-Außenminister auf den Tag nach der Volksabstimmung auf der Krim gefallen ist. Damit bot sich die Möglichkeit, sofort auf den geplanten Anschluss der Halbinsel an Russland zu reagieren – neue Sanktionen inklusive. Damit wollen die Minister Moskau unter Druck setzen, „die jüngsten Entwicklungen rückgängig zu machen“, wie es in ihrer Erklärung hieß. Das Dilemma aber brachte der Luxemburger Jean Asselborn auf den Punkt: „Auch mit den schärfsten Sanktionen der Welt werden wir den Status quo nicht wiederherstellen.“ Für die Ukraine scheint die Krim verloren, allen Mahnungen zum Trotz. Der Deutsche Frank-Walter Steinmeier bezeichnete dieses Szenario als „realistisch“.

 

Offiziell läuft alles im Sinne des Drei-Stufen-Plans, den die Staats- und Regierungschefs vor knapp zwei Wochen beschlossen hatten. Zunächst kam das Aus für die Gespräche über Visumerleichterungen und für ein Partnerschaftsabkommen. Die zweite Stufe, welche die Außenminister nun beschlossen haben, war für den Fall vorgesehen, dass es den Diplomaten nicht gelingen sollte, die ohne politische Vorbereitung angesetzte und ohne alternative Wahlmöglichkeit durchgeführte Volksabstimmung zu verhindern. Da dieser Fall nun eingetreten ist, werden die europäischen Konten führender Politiker der Krim und Russlands eingefroren; sie dürfen darüber hinaus auch nicht mehr in die Europäische Union einreisen. Die dritte Stufe in Form von Wirtschaftssanktionen ist dann vorgesehen, wenn Russland oder im Auftrag Moskaus handelnde „Selbstverteidigungs-Gruppen“ auch in der Ostukraine militärisch aktiv werden sollten.

Die Sanktionen der EU sind eher plakativ als schmerzhaft

Das Wörtchen „Plan“ suggeriert, dass die EU die Situation unter Kontrolle hätte – doch hinter vorgehaltener Hand räumt mancher Minister ein, dass das Geschehen eher einem russischen Plan folgt. Da passt es ins Bild, dass Steinmeier sagte, man habe neue Sanktionen vermeiden wollen – nur um dann auf die Frage nach deren Sinnhaftigkeit einzuräumen, sie seien nur zum „Selbstzweck“ erlassen worden, als „Signal“, dass die EU das Referendum für „völkerrechtswidrig“ hält.

Auf der Sanktionsliste stehen 21 Personen, die von sofort an nicht mehr in die EU einreisen und kein Geld mehr von ihren Konten in Europa abheben dürfen. Die Namen waren bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch unbekannt, um Banktransaktionen in letzter Sekunde zu verhindern. Steinmeier zufolge handelt es sich dabei jedoch um acht Spitzenpolitiker der Krim sowie zehn politisch Verantwortliche aus Russland, darunter Dumaabgeordnete. Zudem finden sich drei Militärs auf der schwarzen Liste – laut Steinmeier „der Kommandeur der Schwarzmeerflotte und zwei Militärs, die für den südlichen und den westlichen Bereich der Militäroperationen Verantwortung tragen“.

Putin steht nicht auf der Liste der Unerwünschten

Von EU-Diplomaten genannt wurden Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der frühere Nato-Botschafter und heutige Vizepremier Dmitri Rogosin sowie mit Alexej Puschkow und Sergej Glasjew der außenpolitische beziehungsweise wirtschaftspolitische Chefberater von Präsident Wladimir Putin. Der Kremlchef selbst findet sich nicht auf der Liste, für Strafmaßnahmen gegen die „oberste Entscheidungsebene“, so Steinmeier, sei „heute nicht der Zeitpunkt“. Auch die Chefs der Energieriesen Gazprom und Rosneft blieben entgegen vorangegangener Spekulationen vorerst verschont.

Zuvor hatten die USA gegen den entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch, drei weitere ukrainische Politiker und sieben russische Regierungsvertreter Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt. Zu den Betroffenen zählt auch der selbst ernannte Krim-Premier Sergej Aksjonow. Janukowitsch stand bereits auf der schwarzen Liste der EU.

Politische Kreise in Brüssel und Berlin wollen sich Spielraum für eine lange Auseinandersetzung mit Strafaktionen bewahren, die mit neuen Gegenmaßnahmen beantwortet werden dürften. „Die jetzt auf dem Tisch liegenden gezielten Sanktionen gegen Russland sind erst der Anfang, wenn Russland seine Strategie der schrittweisen Eskalation nicht ändert“, sagte der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, der dem Auswärtigen Ausschuss im Europaparlaments vorsteht. Man will laut Steinmeier „flexibel“ bleiben, falls Russland doch noch auf die Gesprächsangebote eingeht.

Die Frage ist: gibt sich Moskau mit der Krim zufrieden?

Mit den neuen Vorschlägen aus Moskau ist es nach Ansicht der Europäer noch nicht so weit. So soll die Kontaktgruppe, auf welche der Westen schon lange dringt, die Ukraine dazu bewegen, das Krim-Referendum anzuerkennen und in einer neuen Verfassung die politische und militärische Neutralität festzuschreiben. Das aber werde, konterte Steinmeier, „niemand anderes zu entscheiden haben als die Ukrainer selbst“. Und es werde „kein internationales Format geben“, so der Deutsche weiter, die das Geschehene „nachträglich legitimiert“.

Das Hauptaugenmerk für die nächsten Tage liegt nun darauf festzustellen, ob Russland über die Krim hinaus noch territoriale Ambitionen hegt. Dafür soll nun möglichst schnell eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in den Osten der Ukraine entsandt werden. Diese soll Steinmeier zufolge „sichtbar“ und zumindest in allen größeren Städten vertreten sein. Sollten auch dort militärische Aktionen der russischen Seite „belegbar“ sein, würde das nicht nur die Sorgen der Osteuropäer bestätigen, sondern auch die angedrohten Wirtschaftssanktion auslösen.

Genau da liegen die Interessen in der EU weit auseinander. Während Litauens Außenminister Linas Linkevicius kritisierte, er sei „nicht glücklich über die Geschwindigkeit, mit der wir arbeiten“, warnte der Außenminister Zyperns, das eng mit der russischen Wirtschaft verflochten ist, vor zu harten Sanktionen und deren ökonomischen Folgen für Europa. Das Europaparlament hat sich bereits für ein Embargo auf Rüstungsgüter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck ausgesprochen – als nächster Etappe auf der Spirale der Sanktionen.