Die SS tötete 1944 in Sant’Anna in nur wenigen Stunden mehr als 400 Menschen. Gemeinsam mit Italiens Staatschef besucht Joachim Gauck als erster Bundespräsident den Ort - und ruft dazu auf, die Opfer niemals zu vergessen.

Rom - Bundespräsident Joachim Gauck hat am Sonntag im italienischen Sant’ Anna di Stazzema an das Massaker der Waffen-SS in dem Dorf 1944 erinnert. Gemeinsam mit dem italienischen Staatschef Giorgio Napolitano besuchte er das Bergdorf in der Toskana und rief in seiner Rede dazu auf, Versöhnung als ein Geschenk zu betrachten. Versöhnung meine nie und auf keinen Fall Vergessen. „Die Opfer haben das Recht auf Erinnerung und Gedenken.“ Napolitano sagte, eine solche Erinnerung sei ein Fundament Europas. Deutschland und Italien ließen sich heute nicht vom gemeinsamen Aufbau Europas abhalten.

 

Bei dem Massaker am 12. August 1944 hatten SS-Truppen in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs innerhalb weniger Stunden alle Häuser des Dorfes in den Apuanischen Alpen zerstört und etwa 400 bis 500 Menschen getötet. „Hier in Sant’ Anna wurde die Menschenwürde mit Füßen getreten und Menschenrechte massiv verletzt“, sagte Gauck, der den Ort in der Nordtoskana als erster Bundespräsident besuchte.

Spontan zum Besuch entschlossen

Sant’ Anna wurde nach dem Krieg zu einem wichtigen Ort der Erinnerung an die Gräueltaten deutscher Truppen in Italien während der Nazi-Zeit. In Rom gedachten Napolitano und der linke Politiker Pier Luigi Bersani am Sonntagvormittag an einer Gedenkstätte der Opfer des Massakers von „Fosse Ardeatine“, bei dem deutsche Truppen am 24. März 1944 in Rom mehr als 300 italienische Zivilisten getötet hatten.

„Sie sind nicht anonyme Opfer eines anonymen Geschehens, sondern sie haben Namen und Gesichter, die wir bewahren wollen“, sagte der Bundespräsident, der nur für den Besuch der Gedenkstätte und die Kranzniederlegung nach Italien geflogen war. Gauck hatte sich Ende Februar spontan zu dem gemeinsamen Besuch entschlossen, nachdem Napolitano ihm den Brief eines Überlebenden überreicht hatte.

Aus der Geschichte gelernt

Das Gedenken in Sant’ Anna sei ein sichtbares Zeichen, dass man aus der Geschichte gelernt habe, sagte Gauck. Er wies damit auch darauf hin, dass Napolitano im Widerstand gegen die Nazis war. Das gemeinsame Gedenken zeige unübersehbar, dass Versöhnung stattgefunden habe. Diese sei letztlich ein „Geschenk“.

Der Bundespräsident sprach auch die äußerst schwierige und immer noch nicht abgeschlossene juristische Aufarbeitung des Verbrechens an. „Es verletzt unser Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht überführt werden können, wenn Täter nicht bestraft werden können, weil die Instrumente des Rechtsstaates dieses nun einmal nicht zulassen“, sagte er. Das moralische Empfinden sei damit aber nicht beruhigt. Ein Urteil über gut und böse sei auch möglich, wenn Gerichte nicht zu einem Schuldspruch kämen. Denn es gebe nicht nur eine strafrechtliche, sondern auch eine politische Schuld. „Wir, die Öffentlichkeit, nennen die Schuld Schuld“, sagte Gauck unter Beifall.

Das Massaker wurde im Kalten Krieg lange verschwiegen und von Italiens Justiz nicht verfolgt. Die Akten lagerten bis zum Jahr 1994 in einem versiegelten Schrank, später „Schrank der Schande“ genannt. Zehn ehemalige SS-Angehörige wurden später zwar zu lebenslänglicher Haft und Entschädigungszahlungen verurteilt, traten ihre Strafe aber nie an. Lange Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wurden im Jahr 2012 eingestellt. Sie teilte mit, den Beschuldigten könne keine noch nicht verjährte strafbare Beteiligung nachgewiesen werden. Dagegen hat ein Opferverband des Ortes jedoch Einspruch eingelegt.