Offiziell ist der Fall Sarrazin mit der Einstellung des Parteiausschluss-Verfahrens für die SPD abgehakt, aber intern rumort es.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart/Berlin - Falls die SPD-Spitze darauf gesetzt haben sollte, dass die gütliche Einstellung des Parteiausschlussverfahrens gegen Thilo Sarrazin in der Osterruhe untergeht, hat sie sich getäuscht. Es rumort in der SPD, weil Sarrazin nun doch Sozialdemokrat bleiben soll, obwohl er mit sozialdarwinistischen Thesen viele SPD-Mitglieder verstört hat und nach wie vor provoziert. Die Stuttgarter SPD hat einen offenen Brief an Parteichef Sigmar Gabriel verfasst, und in Berlin wurde eine "Berliner Erklärung" auf den Weg gebracht. Gemeinsam ist beiden das Unverständnis über das sang- und klanglose Ende des Ausschlussverfahrens gegen Sarrazin.

 

Die Entscheidung, die die Kreisschiedskommission und alle Ankläger Sarrazins, darunter die Bundes-SPD, einvernehmlich getroffen haben, ist so erklärungsbedürftig, dass Generalsekretärin Andrea Nahles sich am Dienstag gezwungen sah, den Mitgliedern von Präsidium und Parteivorstand einen Brief zu schreiben. Darin betont sie, dass sie das Ausschlussverfahren weiterhin richtig findet, verweist aber auch auf die Unabhängigkeit der Schiedskommission, die eine gütliche Einigung vorgeschlagen habe. "Eine solche Initiative der Schiedskommission kann nicht einfach ignoriert werden", schreibt sie.

Massive Kritik aus den eigenen Reihen

Nach ihrer Auffassung haben "beide Seiten klargestellt, dass sozialdarwinistische und diskriminierende Ansichten sowie Forderungen nach einer selektiven Bevölkerungspolitik in der SPD keinen Platz haben". Die Schiedskommission habe Sarrazin "gerade zu dem Einlenken bewegt, das mindestens notwendig war, um weiterhin Mitglied der SPD sein zu können", schreibt die Generalsekretärin. "Innerhalb dieses Rahmens muss die Volkspartei SPD kontroverse Ansichten und Personen aushalten können, auch wenn es ihr manchmal schwerfällt." Gleichwohl muss sich die SPD-Spitze mit immer massiverer Kritik aus den eigenen Reihen auseinandersetzen.

"Die Entscheidung, den Antrag auf Parteiausschluss gegen Thilo Sarrazin auf Grundlage seiner Erklärung zurückzunehmen, können wir nicht nachvollziehen", schreiben Stuttgarter Genossen an die Adresse von SPD-Chef Sigmar Gabriel. "Wenn wir Sarrazins Botschaft in unseren Reihen dulden, geben wir all das auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen. Wer vermeintlich Rücksicht auf die Wählerschaft nimmt... gibt aus opportunistischen Gründen unsere Grundsätze auf." Damit nehmen die Stuttgarter die Argumentation Gabriels auf, mit der er im vergangenen Herbst begründet hatte, warum die SPD Sarrazin nicht mehr in ihren Reihen dulden könne. Baden-Württembergs SPD-Chef Nils Schmid forderte Sarrazin auf, aus der Partei auszutreten.