In einer von Einwanderung und Vielstimmigkeit geprägten Gegenwart erfindet Sasa Stanisic die dazugehörigen Geschichten. Die schönsten versammelt sein neues Buch „Fallensteller“.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Fallensteller sind listige Leute. Sie locken, sie tricksen und gaukeln etwas vor, und wer nicht aufpasst, den haben sie schon so gut wie am Wickel. Dann ist man ihrer Macht ausgeliefert, und sie können mit einem anstellen, was immer sie wollen. Sie arbeiten mit Ködern, verführerischen Dingen, die nicht sind, was sie scheinen, manche davon haben einen ziemlichen Haken. Nichts aber kann uns so verführen wie Sprache. Von allen Ködern ist sie der gefährlichste.

 

„Fallensteller“ heißt das neue Buch von Sasa Stanisic. Zu seinem doppelbödigen Wesen zählt, dass es eigentlich beides ist, Falle und Fang: Es legt für den Leser Köder aus, um ihn zu verführen. Gleichzeitig ist es eine bunte Sammlung dessen, was dem Autor ins Netz gegangen ist.

Stanisic versammelt Prosaminiaturen, Tagesreste aus dem Leben eines Schriftstellers. Manches hätte ein Roman werden können, anderes führt einen solchen weiter. Einzelne Geschichten sind miteinander verbunden, wie jene, die zwei Freunde von einem Rheinfest christlicher Menschenrechtsaktivisten nach Stockholm führen, wo sie das surrealistische Bild einer syrischen Künstlerin klauen. Das klingt nicht unbedingt nach einer einfach nacherzählbaren Handlung. Dafür strotzen diese Texte von einer aufsässigen Situationskomik, etwa wenn sich die beiden Freunde fragen, ob in einer Kriegsbetroffenheits-Vernissage nicht auch einmal ein Witz in Ordnung ginge, sie gleichzeitig aber nicht die ersten Witzigen sein wollen: „Ohne eine kunst- oder kriegsnahe Vita konnte man ja nicht ernsthaft etwas politisch Inkorrektes in den Humorring werfen.“

Eingemeindung des Wilden

Listig und intelligent mokiert sich der Erzähler über die Katastrophenkulinarik des Kulturbetriebs, seine Riten, die nicht zuletzt Stansic’ eigene Karriere wesentlich mitbestimmt haben. Der jugoslawische Bürgerkrieg hat den in Bosnien geborenen Autor einst nach Deutschland verschlagen, sein fulminantes Debüt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ war davon durchschüttert. Acht Jahre später folgte sein zweiter Roman „Vor dem Fest“ über die eigenartigen Bräuche des märkischen Dorfes Fürstenfelde, mit dem er 2014 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat.

Stanisic ist die Galionsfigur einer jungen deutschen Literatur, die sich aus fremden Quellen speist. Er ist insofern auch der Liebling des wohlmeinenden literarisch aufgeklärten Establishments, das Preise vergibt und über Stipendien gebietet. Und zu den lustigsten Passagen in dem neuen Buch zählen solche, in denen er eben die Reflexe karikiert, mit denen das Wilde, Draußenliegende ästhetisch domestiziert wird.

Als eine seiner Figuren einen Literaturpreis gewinnt, heißt es in der Laudatio, die originelle Musikalität seiner Sprache suche ihresgleichen in seiner Generation, was sicherlich damit zu tun habe, dass er ein Autor mit Provinzhintergrund sei. Ähnliches mit anderem Hintergrund dürfte Stanisic öfter über sich gehört haben.

Eintracht von Mensch und Kreatur

„Eine Libelle küsst die eigene Reflexion im See“, heißt es einmal. Man kann das als Widerschein dieser sich immer wieder sich auf sich selbst beziehenden Sprache lesen, die bisweilen so seltsam schön und irisierend glänzt wie die Flügel des schwebenden Insekts, die den Leser aber zugleich mit den gelben Augen des Wolfes anfunkeln kann, den einer der vielen Ich-Erzähler dieser Geschichten einmal im Traum erblickt. Da wird ein Junge in ein Ferienlager im Wald verbannt, obwohl er Bäume eigentlich nur als Schrank super findet. „Ich lehne die Natur ab. Ich lehne das Basteln von Wanderstöcken ab. Ich lehne Folienkartoffeln ab.“ Aus der Einsamkeit einer sozialen Situation lösen sich Märchenversatzstücke und mischen sich mit der grausam-kuriosen Geschäftigkeit kleiner Naturtouristen, die Schmetterlinge jagen und auf kleine Nadeln stecken, weil Menschen nun einmal gerne sammeln. Der Junge dagegen zieht es vor, alles um sich zu vergessen, was nicht Buchstabe ist.

In der titelgebenden Erzählung begegnet man jenem Fürstenfelde und seinen Bewohnern wieder, diesmal nicht vor, sondern geraume Zeit nach dem Fest. Hier, wo sich zuvor ein Jugo herumgetrieben hat, um einen Roman zu schreiben, quartiert sich nun ein reimender Rattenfänger ein und bändigt die diversen Bedrohungsfantasien der Leute. Im Bann seiner Fallen leben vorübergehend Mensch und Kreatur friedlich vereint. Wildschweine verirren sich in Supermärkte, um sich an neuseeländischen Äpfeln zu laben, wobei wegen der Hauer die Folienverpackung Probleme bereitet: „Wie sollen das denn die Senioren lösen, wenn schon die Wildschweine daran scheitern.“ Poesie und Gegenwart purzeln munter durcheinander, oft nur einen Fallstrick voneinander getrennt.

Der Autor als Rattenfänger

Manches sind kleine Kabinettstückchen, berechnet für ein auf den Rängen begeistert Beifall klatschendes Publikum von Literaturkritikern: Zaubereien, bisweilen hart an der Grenze zum Trick. Das wäre die Falle, die der Betrieb einem wie Stanisic stellen könnte. Aber er ist viel zu klug, hineinzutreten. Immer wenn man meint, sein Spiel durchschaut zu haben, nehmen die Dinge eine Wendung, der man sich nicht entziehen kann. So in dem Lebensfluss der letzten Geschichte, auf deren Oberfläche das erfolgreiche Dasein eines jungen Migranten treibt, leise begleitet von einer Unterströmung der Erinnerung an vergangene Katastrophen und Verluste. In diesen eindringlichen Momenten ist man bereit, dem Autor überallhin zu folgen. Wie einem unwiderstehlichen Rattenfänger.