Kultur: Stefan Kister (kir)

Erzählt wird hier allerhand. Von jener anderen Anna, die in dieser Nacht mit ihrer Jugend auf dem Land abschließt, und Herrn Schramm daran hindert, dasselbe gleich mit seinem Leben zu tun. Von dem Schweinezüchter Gölow, der von Alaska träumt, alljährlich sechs Ferkel für das Fest spendet, aber eines davon begnadigt. Von dem Wunderferkel, das im Jahr 1587 das Licht der Welt mit einem Menschenkopf erblickte. Von der neunzigjährigen Heimatmalerin Ana (sic) Kranz, die es aus dem Banat hierher verschlagen hat, die Zigarre raucht, Bilder malt mit Titeln wie „Bürgermeister Heinz Durden nach der Entenjagd“ und sich für diese Nacht ihr feinstes Kleid angezogen hat, damit nun aber merkwürdigerweise in den See gestiegen ist, um ausgerechnet dort ihr letztes Werk zu schaffen. Und von einer Füchsin, die sich auf den Weg macht zum Hühnergehege des ehemaligen Briefträgers Dietzsche, von dem man sagt, er habe noch zu DDR-Zeiten nicht nur die Fürstenfelder, sondern auch die Stasi mit Post versorgt; jetzt ist er nicht mehr Herr der Briefkästen, sondern einer Eierbox, und auf die hat es die Füchsin abgesehen, um ihren Welpen noch einmal etwas Gutes zu tun, bevor sie für immer den Bau verlassen.

 

„So eine Nacht ist das“ – dieser Satz hält das beinahe somnambule Gefüge sternfunkelnder Prosaminiaturen lose zusammen. Ansonsten ist hier alles in Bewegung. Grenzen lösen sich auf, zwischen Mensch und Natur, zwischen Räumen und Zeiten, Leben und Tod. Und mit wahrhaft grenzenloser Fantasie treibt Sasa Stanisic seine erzählerischen rites de passage über die Schwellen der Sprache hinaus. Er schreibt gleichsam in Zungen: Das klingt mal nach früher Neuzeit, mal nach deutschem Hip-Hop, mal nach DDR, mal nach hoher Dichtung und mal nach schwieriger Sozialprognose. Wie in Drachenblut gebadet versteht man endlich das komplizierte Seelenleben der Füchse, was in ihnen vorgeht, wenn sie sich in Todesgefahr ein gestohlenes Ei auf der Zunge zergehen lassen oder die Witterung eines Wolfs aufnehmen.

Die Erfindung der Geschichte

Die Hüterin aller Geschichten aber ist Frau Schwermuth, Johanns Mutter. Ihr untersteht das Haus der Heimat. Hier verwahrt sie die Zeugnisse zur Historie Fürstenfeldes. Was man so verwahren nennt. Denn wie jede Erzählung lektoriert werden muss, so auch jene große über die Vergangenheit. Und Frau Schwermuth geht sehr frei mit dem Text um.

Darin liegt Methode. Ist unsere Gegenwart eine von Einwanderung und Vielstimmigkeit Geprägte, erfindet Sasa Stanisic die dazugehörige Geschichte. Sie ist verwinkelt wie ein Fuchsbau, die verschiedensten Wesen tummeln sich darin, und wenn man Glück hat, funkelt irgendwo der sagenhafte Güldenstein durchs Dunkel. Eine Gemeinschaft, die sich auf diesem Grund einrichten würde, bedürfte nicht mehr solcher Aktionen wie das antifaschistische Radfahren, mit dem Frau Schwermuth den Tag des Festes beginnt. Ach ja, das Fest. Fast hätten wir das vergessen. Nichts besonderes. Alles wie immer. Ein Schwein wird verschont.

Sternfunkelnde Prosaminiaturen

Erzählt wird hier allerhand. Von jener anderen Anna, die in dieser Nacht mit ihrer Jugend auf dem Land abschließt, und Herrn Schramm daran hindert, dasselbe gleich mit seinem Leben zu tun. Von dem Schweinezüchter Gölow, der von Alaska träumt, alljährlich sechs Ferkel für das Fest spendet, aber eines davon begnadigt. Von dem Wunderferkel, das im Jahr 1587 das Licht der Welt mit einem Menschenkopf erblickte. Von der neunzigjährigen Heimatmalerin Ana (sic) Kranz, die es aus dem Banat hierher verschlagen hat, die Zigarre raucht, Bilder malt mit Titeln wie „Bürgermeister Heinz Durden nach der Entenjagd“ und sich für diese Nacht ihr feinstes Kleid angezogen hat, damit nun aber merkwürdigerweise in den See gestiegen ist, um ausgerechnet dort ihr letztes Werk zu schaffen. Und von einer Füchsin, die sich auf den Weg macht zum Hühnergehege des ehemaligen Briefträgers Dietzsche, von dem man sagt, er habe noch zu DDR-Zeiten nicht nur die Fürstenfelder, sondern auch die Stasi mit Post versorgt; jetzt ist er nicht mehr Herr der Briefkästen, sondern einer Eierbox, und auf die hat es die Füchsin abgesehen, um ihren Welpen noch einmal etwas Gutes zu tun, bevor sie für immer den Bau verlassen.

„So eine Nacht ist das“ – dieser Satz hält das beinahe somnambule Gefüge sternfunkelnder Prosaminiaturen lose zusammen. Ansonsten ist hier alles in Bewegung. Grenzen lösen sich auf, zwischen Mensch und Natur, zwischen Räumen und Zeiten, Leben und Tod. Und mit wahrhaft grenzenloser Fantasie treibt Sasa Stanisic seine erzählerischen rites de passage über die Schwellen der Sprache hinaus. Er schreibt gleichsam in Zungen: Das klingt mal nach früher Neuzeit, mal nach deutschem Hip-Hop, mal nach DDR, mal nach hoher Dichtung und mal nach schwieriger Sozialprognose. Wie in Drachenblut gebadet versteht man endlich das komplizierte Seelenleben der Füchse, was in ihnen vorgeht, wenn sie sich in Todesgefahr ein gestohlenes Ei auf der Zunge zergehen lassen oder die Witterung eines Wolfs aufnehmen.

Die Erfindung der Geschichte

Die Hüterin aller Geschichten aber ist Frau Schwermuth, Johanns Mutter. Ihr untersteht das Haus der Heimat. Hier verwahrt sie die Zeugnisse zur Historie Fürstenfeldes. Was man so verwahren nennt. Denn wie jede Erzählung lektoriert werden muss, so auch jene große über die Vergangenheit. Und Frau Schwermuth geht sehr frei mit dem Text um.

Darin liegt Methode. Ist unsere Gegenwart eine von Einwanderung und Vielstimmigkeit Geprägte, erfindet Sasa Stanisic die dazugehörige Geschichte. Sie ist verwinkelt wie ein Fuchsbau, die verschiedensten Wesen tummeln sich darin, und wenn man Glück hat, funkelt irgendwo der sagenhafte Güldenstein durchs Dunkel. Eine Gemeinschaft, die sich auf diesem Grund einrichten würde, bedürfte nicht mehr solcher Aktionen wie das antifaschistische Radfahren, mit dem Frau Schwermuth den Tag des Festes beginnt. Ach ja, das Fest. Fast hätten wir das vergessen. Nichts besonderes. Alles wie immer. Ein Schwein wird verschont.