An der Tübinger Universität hat der Netzexperte Sascha Lobo über gefährliche Tendenzen im gesellschaftlichen Diskurs gesprochen.

Tübingen - Als Sascha Lobo bei der Mediendozentur an der Universität in Tübingen angekündigt wird, klingt das, als ob gleich ein Rockstar die Bühne betreten würde. Direktor Bernd Engler spricht vom „digitalen Dolmetscher“, der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nennt ihn „Diskursmaschine“. Das Thema, zu dem der Internetexperte reden soll, klingt ebenfalls anspruchsvoll: „Das Ende der Gesellschaft und die Folgen der Vernetzung“.

 

Wer ist dieser Mann, der es schafft, den kompletten Festsaal der Tübinger Universität zu füllen? Äußerlich könnte man hinter Lobo einen beliebigen Redner vermuten – bis auf seine rote Irokesenfrisur. Die trägt der Berliner wegen des Wiedererkennungswertes. Dabei ist der Blogger in vielen Medien vertreten, schreibt eine regelmäßige Kolumne für Spiegel Online, zahlreiche Bücher und Aufsätze.

Für Lobo-Kenner kommt die erste Ansage wenig überraschend. Die Gesellschaft sei nämlich noch nicht am Ende, erklärt der Blogger: „Das war gelogen. Die Gesellschaft ist nicht am Ende, aber die Menschen begreifen durch die sozialen Medien nun, dass ihre Idee von Gesellschaft nur eine Illusion ist.“ Was er damit meint, ist ganz einfach. Soziale Medien wie Facebook erlaubten es ihren Nutzern, das Weltgeschehen in Echtzeit zu kommentieren. Dadurch bekomme auch rassistisches Gedankengut eine öffentliche Plattform.

Die gemeinsamen Werte sind eine Illusion

Bei Lobo klingt das so: „Wir können den Menschen beim Kommentieren der Welt zuschauen, von denen wir dachten, sie seien mit uns zusammen die Gesellschaft und teilen unsere Werte.“ Dass diese gemeinsamen Werte in der Praxis nicht von allen geteilt werden, sehe man an Hasskommentaren im Netz, erklärt Lobo und zitiert Beispiele aus der Praxis: „Da schlägt jemand aus Deutschland vor, dass man Flüchtlinge in die Moscheen treibt und diese dann anzündet.“ Das Beunruhigende daran: Früher wurde solches Gedankengut im Schutze der Anonymität verbreitet. Heute kommentieren die Leute mit ihrem vollen Namen. Für Lobo ist das eine kritische Entwicklung: „Das trauen sich Menschen wirklich zu sagen. Und es sind Menschen, von denen wir gedacht haben, sie machen mit uns die Gesellschaft aus.“

Der Hass im Netz sei allerdings kein AfD- oder Pegida-Phänomen, erklärt Lobo. Durch diese Bewegungen sei aber der Begriff „Lügenpresse“ aus der NS-Zeit neu geprägt worden. „Ich halte das für einen der gefährlichsten Begriffe in der Medienwelt“, sagt Lobo. Denn die Menschen stünden mit ihren Emotionen einer „gemäßigten“ Presse gegenüber: „Facebook ist gefühlsgetrieben. Alles ist voller Gefühle und dagegen wirkt die Medienwelt kalt und durchformuliert“, sagt Lobo. Das führe dazu, dass Menschen sich missverstanden fühlten und die „Mäßigung“ der Medien nicht als Bemühung um Objektivität erkennen: „Wer Lügenpresse sagt, meint eigentlich: ‚Die Medien sind nicht bereit, meine extremistische und kompromisslose Welthaltung anzunehmen‘.“ Dafür erntet der Blogger Applaus vom Publikum. Zudem ziele der Begriff auch auf den Pluralismus der Medienwelt ab. Wer Lügenpresse schreie, wolle ausschließlich die eigene, kompromisslose Meinung abgebildet haben, erklärt Lobo.

Zudem vertrauen Nutzer oft ihrer gefühlten Wahrheit statt sich eine differenzierte Meinung zu bilden. Was sich richtig anfühlt, sei aber nur Ansichtssache, betont Lobo: „Gefühle sind natürlich radikal subjektiv.“ Deshalb nutzten Rechtsextremisten sie, um beispielsweise zur Notwehr aufzurufen – laut Lobo die „einzig legitimierte Form der Gewalt“. Der Blogger mahnt, man müsse dieser Entwicklung entgegentreten: „Wir müssen als Demokraten höllisch aufpassen, dass unmenschliche Ideologien nicht immer tiefer in das System einsickern. Gestern war es der NSU, heute sind es menschenverachtende Äußerungen im Netz, morgen ist es die AfD, die ihren Anteil an der Ausgestaltung der Politik einfordert.“

Die Facebook-Gemeinde sympathisiert mehrheitlich mit AfD und NPD

Wie es um die Demokratie im Netz stünde, wenn man nach Facebook ginge, zeigt Lobo anhand der Facebook-Likes der Parteien. Dazu hat er sie in Wählerstimmen umgerechnet. In diesem hypothetischen „Facebook-Parlament“ wäre die AfD mit 274 444 Stimmen die stärkste Kraft, gefolgt von der NPD mit 163 847 Stimmen. Danach erst kämen Linke, CDU, SPD, Grüne und schließlich FDP.

Wer den Ausführungen Lobos zuhört, bekommt den Eindruck, dass alles in den sozialen Medien schlecht ist. Dem sei nicht so, betont der Mann mit Irokesenschnitt: „Wir müssen froh sein, dass wir eine so intensiv diskutierende Öffentlichkeit überhaupt haben.“ Seinen Vortrag schließt er mit einem persönlichen Appell: „Ich möchte aufrufen, sich an der Diskussion zu beteiligen, den gesellschaftlichen Entwicklungen eigene Entwürfe entgegenzustellen und zwar genau dort, wo Rassismus heute stattfindet, in den sozialen Medien. Erobert die sozialen Netzwerke zurück!“