Sat 1 und der TV-Markt Ganz unten ist bald nichts mehr zu holen
Das Format „Plötzlich arm, plötzlich reich“ wird gekippt, Sat 1 reagiert auf einen Skandal. Das ist bloß ein Anzeichen für große Änderungen auf dem TV-Markt.
Das Format „Plötzlich arm, plötzlich reich“ wird gekippt, Sat 1 reagiert auf einen Skandal. Das ist bloß ein Anzeichen für große Änderungen auf dem TV-Markt.
Stuttgart - Endlich: Sat 1 entschuldigt sich für Teile seines TV-Programms und kippt ein Format. Zu erwarten war das nicht, passiert ist es nun doch. Aus der Sat-1-Zentrale in Unterföhring kommt die nahezu bußfertig klingende Mitteilung, beim Dreh von „Plötzlich arm, plötzlich reich“ sei es zu Fehlern gekommen, „für die wir die Öffentlichkeit und die Familie um Entschuldigung bitten.“ Bevor noch jemand sarkastisch grinsen kann, setzen die neuen Demutskünstler hinzu. Der Sender sei zu dem Schluss gekommen, dass diese Sendung nicht mehr zu dem Sat 1 passe, das er gemeinsam mit und für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer entwickeln wolle. Die fragliche Sendung wird also eingestampft.
Der konkrete Anlass klingt zunächst wie eine Wiederholung früherer Demaskierungen der TV-Welt, die alle nicht viel genutzt haben. Bei „Plötzlich arm, plötzlich reich“ wird der Sozialvoyeurismus bedient. Menschen aus besseren und weniger guten Verhältnissen tauschen für eine Woche Wohnung und Haushaltsgeld. Das Team der Produktionsfirma Imago TV sorgt im Geist der Scripted Reality dafür, dass Menschen und Verhältnisse sich reiben.
Mitgespielt hat der Schlagersänger Ikke Hüftgold, mit bürgerlichen Namen Matthias Distel, ein Brachialbespaßer aus der Ballermann-Liga. Ihm ging bei den Dreharbeiten auf, dass da eine „gewissenlose Quotenjagd auf dem Rücken missbrauchter Kinder“ betrieben werde. Die Kids aus seiner Tauschfamilie seien sichtlich traumatisiert, und das Drehteam nehme darauf keine Rücksicht. Er machte das Ganze öffentlich, und weil es hier um Kindeswohl ging und nicht bloß um die übliche Ausbeutung sozial angeknackster Erwachsener, zog das weitere Kreise.
Trotzdem: Als Jan Böhmermann 2016 Kandidaten in die RTL-Show „Schwiegertochter gesucht“ einschleuste und deren Machenschaften entlarvte, war das zwar peinlich für den Sender. Aber niemand glaubte ernsthaft an eine Programmreform. Das ist jetzt anders.
Die TV- und Medienwelt wird neu geordnet, und das hat viele Gründe. Da sind die Wachstumsdynamik der Streamingdienste und deren Formung von Erwartungen, die sozialen Netzwerke als Aufmerksamkeits- und Werbekonkurrenten, und schlicht auch Erschöpfungserscheinungen. Diesseits der Strafbarkeitsgrenzen lassen sich keine Tabus mehr brechen.
RTL hie und die Sat-1/Pro-7-Gruppe da haben darauf reagiert. Bei RTL und Pro 7 ist deutlich zu erkennen, dass man das Programmangebot ausdifferenziert, bürgerlicher wird, nicht mehr nur nach unten hin Nischen testet. Sat 1 ist unter Kaspar Pflüger einen anderen Weg gegangen. Trash-Formate wurden aggressiv ausgebaut. Pflüger, der vor zwei Wochen seinen Chefsessel geräumt hat, hielt Trivialität für die Geschäftsidee von morgen.
Andere dagegen haben erkannt, dass gerade Aufregungsbedürfnis politisiert, also vom Doku-Trash weggeführt und an Kampagnen gebunden wird. Und dass mit dem Einstieg der „Bild“-Zeitung ins TV-Geschäft ein skrupelloser Spieler am Markt sein und viel Publikum binden wird. Auch wenn einem moralische Erwägungen egal sein sollten, könnte man zur Einsicht kommen: Ganz unten wird bald nicht mehr viel zu holen sein.
Die Entschuldigung von Sat 1 und die Einstellung von „Plötzlich arm, plötzlich reich“ dürfte der Anfang des Versuchs von Sat 1 sein, sich neu aufzustellen. Ob man in der Zentrale in Unterföhring tatsächlich den Mumm hat, die unangenehmeren Formate nach und nach zu kippen, statt sie bloß hinter seriöseren Angeboten zu verstecken, wird sich zeigen.