Satellitendaten zeigen, dass ein Faktor bei der Erderwärmung bisher unterschätzt wurde: das schmelzende Eis. Der Arktische Ozean nimmt dadurch immer mehr Sonnenenergie auf und beschleunigt so die Erderwärmung.
Ottawa - Mit dem Schwund des strahlend weißen Meereises wird der Arktische Ozean dunkler: Im Sommer gibt es große offene Wasserflächen, die weniger Sonnenlicht ins All zurücksenden. Eine Studie zeigt nun, dass durch den Verlust von Eis die Albedo, also die Rückstrahlung der Erdoberfläche, stärker abgenommen hat und die Erde mehr Wärme aufnimmt als bisher vermutet – mit erheblichen Auswirkungen auf den Klimawandel.
„Durch den Rückgang des Meereises absorbiert die Arktis viel mehr Energie als früher, wodurch das Meereis ein wichtiger Faktor der globalen Erwärmung wird“, sagt Kristina Pistone von der University of California in San Diego im Gespräch mit dieser Zeitung. „Der Rückgang des Meereises spielt eine größere Rolle bei der beobachteten Erderwärmung als bisher angenommen“, ergänzt ihr Kollege Ian Eisenman. Beide Wissenschaftler gehören zu dem Forscherteam, das die Erkenntnisse in der Fachzeitschrift „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften veröffentlichte.
Pistone und Eisenman betonen, dass die bisherigen Berechnungen der Zusammenhänge zwischen Rückgang des Meereises, Abnahme der Rückstrahlfähigkeit der Erdoberfläche und Energieaufnahme auf Modellen beruhten. Nun stützen sie sich auf tatsächliche Beobachtungen: auf Messungen der einfallenden und reflektierten Sonnenstrahlung durch das Satellitenprogramm CERES der Nasa und Mikrowellenmessungen, anhand derer sich der Umfang der Eisfläche bestimmen lässt.
Der Effekt ist doppelt so groß wie angenommen
Satelliten dokumentieren den Rückgang des Meereises seit mehr als 30 Jahren. Der aus dem All zu beobachtenden „Verdunkelung“ der Arktis wird seit langem ein verstärkender Effekt auf die globale Erwärmung zugeschrieben. Die neue Analyse „offenbart eine verblüffende Beziehung zwischen der planetarischen Albedo und der Bedeckung des Meeres mit Eis“, schreiben die Wissenschaftler. Die Albedo ist ein Maß für die Fähigkeit einer Fläche, Strahlen zu reflektieren. Eis und Schnee haben eine sehr hohe Rückstrahlung, während das dunkle Wasser mehr Energie aufnimmt, was wiederum das Wasser erwärmt und Eis schmelzen lässt. Die Albedo wird mit Werten zwischen 0 und 1 angegeben, wobei zum Beispiel eine Albedo von 0,5 bedeutet, dass 50 Prozent der Strahlen reflektiert werden.
Die Forscher haben anhand der Satellitendaten errechnet, dass die Albedo des arktischen Ozeans nördlich des 60. Breitengrades von 1979, dem Beginn der Messungen, bis 2011 von 0,52 auf 0,48 sank, also von 52 auf 48 Prozent. „Die Albedo-Veränderungen sind substanziell größer als frühere veröffentlichte Schätzungen“, stellen die Wissenschaftler fest.
Der Arktische Ozean nahm in diesem Zeitraum zusätzlich 6,4 Watt pro Quadratmeter an Sonnenenergie auf. Umgerechnet auf den ganzen Erdball bedeuten dies 0,21 Watt pro Quadratmeter, was etwa einem Viertel des Energiezuwachses entspricht, der auf den Anstieg an Kohlendioxid zurückgeht. Frühere Berechnungen gingen davon aus, dass der Zuwachs bei der Energiezufuhr aufgrund der Veränderungen des Meereises nur etwa halb so groß ist. Selbst in der zentralen Arktis, die ganzjährig nahezu vollständig von Meereis bedeckt ist, ist ein Rückgang der Albedo festgestellt worden, wenn auch nicht so stark wie in den eisfreien Regionen: Auf dem Packeis bilden sich im Sommer durch die Sonneneinwirkung Schmelzwasserseen, die mehr Sonnenenergie absorbieren als Eis.