Die Verhaftung von Oligarchen und Politikern deutet eine Zeitenwende im Königreich an. Doch der ehrgeizige Kronprinz muss vorsichtig agieren – sonst droht dem Land Chaos, kommentiert unser Korrespondent Martin Gehlen.

Stuttgart - Mohammed bin Salman pokert hoch. Mit den Massenverhaftungen unter der saudischen Elite löste der Kronprinz am Wochenende ein beispielloses Machtbeben aus. Schon jetzt gilt der 32-jährige designierte Thronfolger als der einer der mächtigsten Männer der Arabischen Halbinsel. In den nächsten Jahren will er Saudi-Arabien völlig umkrempeln – weg vom bequemen Öl-Luxus, hin zu einer pluralen, modernen Volkswirtschaft. Doch die Widerstände nach Dekaden des Wohllebens sind hart. Die 9000 Prinzen haben sich an staatliche Dauerschecks, Luxusautos und Falkenjagd gewöhnt. Auch von den normalen Saudis weiß kaum jemand, was wirklich arbeiten heißt. Und so existiert im Königreich die paradoxe Situation, dass 30 Prozent des einheimischen Nachwuchses keinen Job hat, während zehn Millionen Migrantenarbeiter aus Indien, Pakistan, Bangladesch und den Philippinen dafür sorgen, dass die privaten Geschäfte, Hotels und Handwerksbetriebe funktionieren.

 

Die meisten jungen Leute, von denen jedes Jahr weitere 250 000 auf den Arbeitsmarkt drängen, wollen nur eins: einen bequemen Staatsjob mit Schreibtisch, Klimaanlage und langem Wochenende. Und so ist die in den letzten beiden Jahren forcierte Saudisierung des Arbeitsmarktes bislang nur teure Augenwischerei. Betriebe werden gezwungen, die ihnen verordneten Quoten-Saudis einzustellen. Die meisten dieser Neuankömmlinge werden sofort samt Monatslohn nach Hause geschickt, damit sie in der Firma kein Unheil anrichten. Wer sich als Saudi dennoch herablässt, zusammen mit Asiaten in einem Schnellimbiss oder Supermarkt zu arbeiten, dem zahlt der Staat das Dreifache obendrauf – sozusagen ergänzende Sozialhilfe nach königlicher Manier.

Im Alleingang kann man kein Land umkrempeln

Der Thronfolger will mit einer beispiellosen Machtkonzentration die Wende erzwingen. Wer sich ihm in den Weg stellt, muss mit Verhaftung rechnen. Das gilt selbst für die engste Königsfamilie, die bisher im Konsens agierte. Auch hier schuf der frontale Stil des Kronprinzen tiefe Gräben und Feindschaften. Insofern kann sich die nahezu absolute Machtfülle des jungen Herrschers bei einem derart komplexen Wendemanöver sehr bald als Schwäche entpuppen. Denn ohne die innere Zustimmung der Bevölkerung geht gar nichts. Diese lässt sich nicht einfach von oben per Königsdekret erzwingen. Sie erfordert eine gesellschaftliche Kultur, die politische Vielfalt erlaubt und offene Debatten zulässt, unterschiedliche Meinungen akzeptiert und konträre Standpunkte toleriert. Zwar erzeugt momentan jedes neue grandiose Milliarden-Projekt des Königshauses internationale Schlagzeilen, die Wirkungen nach innen jedoch bleiben gering.

Kronprinz Mohammed kann seine Heimat nicht im Alleingang umkrempeln. Er muss seine zwanzig Millionen Landsleute mitziehen und überzeugen, sonst wird er scheitern mit dem beispiellosen Modernisierungskurs. Und dann könnte sein riskanter Machtpoker am Ende sogar die Stabilität Saudi-Arabiens gefährden.