Wolfgang Berger vergleicht die Kontinente des Fußballs. Und fragt – gibt es nationale Fußball-Stile überhaupt?

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Altbach - In den Köpfen der Fußballfans ist es wie zementiert: Die zaubernden Südamerikaner und die disziplinierten Europäer. Diese Fußballmythen haben eine genauso lange Tradition wie die Clubs selbst. So scheint es folgerichtig, dass der Sportclub Altbach sein 100-jähriges Bestehen am Freitag mit einem wissenschaftlichen Vortrag gefeiert hat, bei dem es um nationale Spielkulturen geht. Gehalten hat ihn Wolfgang Berger, Kulturwissenschaftler und Redakteur unserer Zeitung.

 

Dabei werden die selbstgepflegten nationalen Mythen zum Kompass der nationalen Spielkultur. Für Brasilien etwa gilt: Technisch perfekte, spielerische und artistische Ballbehandlung, so wie ihn die Seleção 1958, 1970, 1982 und 1986 gezeigt hat.

„Wir müssen mit Arbeitern spielen!“

Die Alternative ist der Ergebnisfußball, bei dem allein das Resultat zählt. „Gewinnen ohne zu zaubern, ohne Überraschungen und Schönheit, ist das nicht schlimmer als verlieren?“ hat dabei der Schriftsteller Eduardo Galeano aus Uruguay gefragt.

Zunächst aber ging es im Fußball um die Gesellschaftsschichten. Als die Briten den Sport zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Südamerika brachten, wollte man zunächst unter sich bleiben. Doch mussten die Fußballer der Oberschicht immer mehr mit proletarischen Spieler auf den Platz, weil sonst die Zuschauer sonst ausgeblieben wären. „Die, die wir eine Stellung in der Gesellschaft innehaben, sind gezwungen mit einem Arbeiter zu spielen“, klagte damals eine Sportzeitung.

Von daher wurde in Brasilien zumindest im Fußball die Rassentrennung und die Klassentrennung überwunden, vor allem weil sich die ganze Nation im Glanze der WM-Titel sonnte. Doch der Gegenentwurf zum Sambafußball wurde nicht nur in Europa, sondern phasenweise auch in Argentinien gepflegt. Als die Nationalelf 1958 aus der WM flog, wollte man einen neuen argentinischen Stil entwickeln. Europäische Athletik sollte sich mit südamerikanischem Ballzauber verbinden. Das Ergebnis war niederschmetternd: Es wurde geholzt.

Freiburger werden Breisgau-Brasilianer

Die Europäer gaben gar Warnungen vor Freundschaftsspielen heraus. Genützt hat die Härte den Argentiniern nichts. Der Titelgewinn gelang erst 1978 und dann noch einmal 1986 durch den magischen Fußball-Realismus des Diego Maradona, der nicht nur sieben Engländer stehen lassen konnte, um ein Tor zu schießen, sondern auch die Hand einsetzte, worauf er „als Hand Gottes“ in die Geschichte einging.

Berger zeigte, dass es keine nationalen Spielkulturen gibt, sondern Mannschaften mit verschiedenen Stilen. So kam es, dass die Kicker des SC Freiburg wegen ihres Kurzpass-Spiels als „Breisgau-Brasilianer“ bezeichnet wurden und Paul Breitner einmal über die Seleção sagen konnte: „Sie sollen nicht glauben, dass sie Brasilianer sind, nur weil sie aus Brasilien kommen.“