Hat EnBW Anspruch auf Schadenersatz wegen des Atomausstiegs nach Fukushima? Nein, sagt ein Konzernjurist. Sein Aufsatz steht just in der Festschrift für den EnBW-Anwalt, der vor Gericht das Gegenteil behauptet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wenn der EnBW-Chef Frank Mastiaux Ende April vor die Hauptversammlung tritt, muss er mit diversen kritischen Fragen rechnen. Angesichts der prekären Lage des Energiekonzerns wollen Kleinaktionäre unter anderem seine Bezüge und die Dividende thematisieren. Erstere seien mit 2,2 Millionen Euro deutlich zu hoch, Letztere solle auf einen symbolischen Cent reduziert werden, heißt es in Gegenanträgen. Aber auch die „umstrittene“ Millionenklage gegen das Land und den Bund soll danach zur Sprache kommen. 261 Millionen Euro fordert die EnBW bekanntlich wegen des Stillstands zweier Altreaktoren nach Fukushima bis zum endgültigen Atomausstieg – ein spätes Vorgehen gegen den eigenen Großaktionär, das höchst erklärungsbedürftig ist.

 

Ausgerechnet ein subalterner Mitarbeiter bringt Mastiaux nun zusätzlich in Erklärungsnot. Als größter Schwachpunkt der Klage gilt es, dass der Konzern 2011 auf Rechtsmittel gegen das Aus für die Altmeiler Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 verzichtet hat. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) könnte er damit seinen Anspruch aus Amtshaftung verspielt haben. „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden“, heißt es in Paragraf 839.

Sprengsatz in Festschrift zum Geburtstag

Ausführlich erläutert die EnBW in der Klageschrift, weshalb ihr trotzdem Schadenersatz zustehe: Die Klausel greife nur insoweit, „als zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Eintritt des Schadens ein Kausalzusammenhang besteht“. Das sei aber nicht der Fall, da über eine Klage gegen die Stilllegungsverfügungen wohl erst nach Monaten entschieden worden wäre, also ohnehin zu spät.

Erhebliche argumentative Anstrengungen unternimmt der von der EnBW beauftragte Rechtsanwalt und renommierte Verwaltungsrechtler Klaus-Peter Dolde, um die juristische Klippe zu umschiffen. Unterminiert werden sie indes durch einen jetzt bekannt werdenden Aufsatz eines EnBW-Juristen, der 2014 ausgerechnet in der Festschrift zu Doldes 70. Geburtstag erschienen ist. Guido Kraß heißt der nach wie vor für den Konzern tätige Rechtsanwalt, „Der Sonderweg des Kernenergieausstiegs in Deutschland“ ist sein Beitrag betitelt.

Endgültiger Verzicht auf Schadenersatz?

Darin schildert Kraß unter anderem, wie unterschiedlich die Konzerne auf das Atommoratorium nach Fukushima reagierten: RWE wehrte sich gegen die aus seiner Sicht rechtswidrigen Anordnungen und zog vor Gericht, letztlich erfolgreich. Eon und EnBW verzichteten hingegen auf eine Klage, obwohl sie die rechtlichen Bedenken teilten. Laut Kraß geschah dies in dem Bewusstsein, dass sie damit „endgültig auf die Möglichkeit verzichten würden, später Schadenersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB . . .geltend zu machen“. Endgültig – damit behauptet der Autor genau das Gegenteil von dem, was der mit der Festschrift bedachte Dolde nun dem Landgericht Bonn nahezubringen versucht.

Klagen wie der kampfeslustige RWE-Chef Jürgen Großmann oder nicht klagen wie der damalige EnBW-Vorsteher Hans-Peter Villis, zumal wenige Monate nach dem Einstieg des Landes – beide Entscheidungen, meint Kraß, seien „vertretbar und verantwortlich“ gewesen. RWE habe eben „die Interessen der Aktionäre auf Schadenersatz wahren“ wollen, EnBW und Eon hingegen hätten mit dem Klageverzicht ein Signal für eine „ergebnisoffene Diskussion über Konsequenzen aus der Katastrophe in Japan“ setzen wollen. Die Entscheidung habe einer sorgfältigen Güterabwägung bedurft, die jedes Unternehmen für sich selbst vornehmen musste. Einerseits seien die finanziellen Nachteile durch den Stillstand der Reaktoren zu bedenken gewesen, andererseits die „auch monetäre Imageschädigung“ angesichts der atomkritischen Stimmung in Deutschland: Rechtsmittel hätten da „negative Auswirkungen auf anstehende Konzessionsverhandlungen und das Verhalten der Stromkunden“ haben können. Dass der erhoffte Dialog über die Zukunft der Kernkraft nicht zustande kam, ist für Kraß „ein kaum zu glaubender Vorgang“. Letztlich, schreibt er an anderer Stelle noch einmal, ging es um „die Frage, ob später Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden sollten“.

EnBW begründet den Sinneswandel

Inwieweit der Jurist damals an der Entscheidung zum Klageverzicht oder heute an der Vorbereitung der Klage beteiligt war, möchte EnBW nicht verraten: zu internen „Abstimmungsprozessen“ gebe man keine Auskunft. Durch die von RWE erstrittenen Urteile zu Biblis sei eben eine „andere, neue rechtliche Situation entstanden“, lautet die Begründung für den Sinneswandel. Eine Vermutung aber, die auch in landespolitischen Kreisen kursiert, dementiert das Unternehmen energisch. Ob es ausschließen könne, dass die externen Rechtsberater auch deshalb zum Prozessieren geraten hätten, weil dies für sie selbst lukrativer sei? Die Antwort: „Ja.“