Für den Stillstand zweier Atommeiler verlangt die EnBW mehr als 200 Millionen Euro. Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) rät dem Konzern zur Rücknahme der Schadensersatzklage, die oberschwäbischen Landräte verteidigen das Vorgehen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Für die Abschaltung zweier Atomkraftwerke nach Fukushima verlangt die EnBW erheblich mehr Schadenersatz als bisher bekannt. Mit der Klage beim Landgericht Bonn fordert der Energiekonzern nicht nur, wie bisher angenommen, 100 bis 150 Millionen Euro, sondern nach StZ-Informationen mehr als 200 Millionen Euro; inoffiziell wird eine Spanne von 230 bis 260 Millionen Euro genannt, also bis zu einer Viertelmilliarde Euro. Offiziell beziffert die EnBW den Schaden mit der „Bandbreite eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrages“; genauer äußert sie sich nicht. Hintergrund der Klage ist der Stillstand der Reaktoren Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 während des dreimonatigen Moratoriums und den Folgewochen bis zum Inkrafttreten des neuen Atomgesetzes im August 2011, mit dem der Ausstieg aus der Kernkraft besiegelt wurde.

 

Das rechtliche Vorgehen der EnBW wird derweil weiter kontrovers diskutiert. Als erste Politikerin forderte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl den Konzern auf, die Klage zurückzuziehen. Er solle zu der nach Fukushima bekundeten Linie des „Respekts vor den Besorgnissen der Bevölkerung“ zurückkehren. Mit dieser Begründung hatte EnBW zunächst angekündigt, Neckarwestheim 1 freiwillig abzufahren, und später auf Rechtsmittel gegen eine entsprechende Anordnung für beide Meiler verzichtet. Wenn dies nicht mehr gelte, „wer soll der EnBW sonst noch irgend eine öffentliche Bekundung glauben?“, sagte Kotting-Uhl der StZ. „Die Glaubwürdigkeit der Energiekonzerne ist sowieso schon auf der roten Liste.“ Auch Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hatte sich über das Vorgehen des Energiekonzerns nach drei Jahren verwundert gezeigt und es „etwas überraschend“ genannt.

Landräte stärken Konzern den Rücken

Vom zweiten Großaktionär neben dem Land, dem Landkreiseverbund OEW, bekam die EnBW hingegen Rückendeckung. „Die Vorgehensweise ist für uns absolut nachvollziehbar“, sagte eine OEW-Sprecherin der StZ. Man habe die Entscheidung zur Klage „mit Verständnis zur Kenntnis genommen“. Bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen handele es sich um operatives Geschäft, das in der Zuständigkeit des Vorstands liege. Damit unterstützen die CDU-dominierten Oberschwäbischen Elektrizitätswerke das Vorgehen der EnBW gegen Entscheidungen CDU-geführter Bundes- und Landesregierungen, während der Grüne Untersteller den damaligen Kurs unter Angela Merkel und Stefan Mappus (beide CDU) verteidigt; er sprach von einer „harten, aber richtigen Reaktion auf Fukushima“.

Das Landgericht Bonn konnte den Eingang der kurz vor Weihnachten 2014 eingereichten Klage bisher übrigens nicht bestätigen; dies habe formale Gründe, sagte ein Sprecher.

In Fachkreisen wird derweil diskutiert, ob EnBW überhaupt einen Anspruch auf Schadenersatz hat. Dabei wird auf den für Amtshaftung maßgeblichen Paragrafen 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verwiesen. „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden“, heißt es darin. Tatsächlich hatte EnBW im Jahr 2011 trotz erheblicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen darauf verzichtet, diese anzufechten – anders als etwa RWE.

EnBW sieht Ersatzpflicht immer noch

Laut EnBW steht die BGB-Klausel einem Anspruch aber nicht entgegen. Sie greife nur insoweit, „als zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Eintritt des Schadens ein Kausalzusammenhang besteht“. Der Schaden wäre jedoch nicht verhindert worden, wenn man damals Rechtsmittel eingelegt hätte. Über eine Klage wäre nämlich nicht innerhalb von drei Monaten entschieden worden, wie auch das Klageverfahren von RWE in Hessen zeige. Bis zur Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofs sei fast ein Jahr vergangen, die Bestätigung durch das Bundesverwaltungsgericht sei sogar erst Ende 2013 erfolgt. Damit fehle es an der Kausalität zwischen dem damaligen Absehen von einer Klage und dem Schaden. In dem Verfahren wird EnBW nach eigenen Angaben von der Kanzlei Dolde Mayen & Partner beraten, genauer: von dem renommierten Verwaltungsrechtler Professor Klaus-Peter Dolde.

Das Vorgehen gegen Land und Bund hatte der Konzern vor allem mit aktienrechtlichen Verpflichtungen, aber auch mit der Ende 2014 drohenden Verjährung begründet. Wie jetzt bekannt wurde, gab es zwar Gespräche über einen sogenannten Verjährungsverzicht durch den Staat; damit wäre der Zugzwang für EnBW entfallen. Eine Einigung kam jedoch nicht zustande. „Zu den Gründen möchten wir keine Aussage treffen“, hieß es bei EnBW. Nach StZ-Informationen scheiterte ein Kompromiss an offenbar unlösbaren haushaltstechnischen Fragen.