Rolle rückwärts: Nach dem Gang durch die Instanzen landet der Streit um den Abgang von Daimler-Boss Jürgen Schrempp erneut vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht. Der Europäische Gerichtshof hatte zuvor ein Machtwort gesprochen.

Stuttgart - Zehn Jahre nach dem Rückzug von Daimler-Boss Jürgen Schrempp beschäftigen die Gerichte sich weiter mit seinem Abgang. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wird der Fall heute noch einmal in einem Musterverfahren aufgerollt (Az.: 20 Kap 1/08). Zuvor war das Verfahren bereits durch alle Instanzen gegangen. Im Kern geht es um die Frage, wie viel Informationen Aktienunternehmen schon bei noch laufenden Entscheidungsprozessen preisgeben müssen.

 

Worum geht es?

Am 28. Juli 2005 teilte Daimler mit, dass der damalige Chrysler-Chef Dieter Zetsche den Vorstandsvorsitzenden Schrempp ablösen soll. Schrempp hatte von Aktionären wegen der Beteiligung an Mitsubishi in Japan und Problemen der Kleinwagenmarke smart immer wieder Kritik einstecken müssen. Die Daimler-Aktie sprang nach der überraschenden Ankündigung bis zu zehn Prozent nach oben. Mehrere Aktionäre beschwerten sich allerdings: Sie hätten ihre Papiere nicht verkauft, wenn der Konzern sie früher über einen möglichen Rückzug informiert hätte. Sie zogen vor Gericht und forderten Schadenersatz. Der Rechtsstreit dreht sich um die Frage, wann Daimler dazu verpflichtet war, seine Anleger über den Abgang in Kenntnis zu setzen.

Wie argumentiert Daimler?

Die europäische und deutsche Gesetzgebung verpflichtet börsennotierte Unternehmen, ihre Anleger umgehend über Entwicklungen zu informieren, welche die Aktienkurse wahrscheinlich beeinflussen werden. Daimler argumentierte damals, das sei erst nötig, wenn ein Ereignis - in diesem Fall der Abgang Schrempps - „hinreichend wahrscheinlich“ sei.

Wie ist die Position der Aktionäre?

Die Kläger hielten dagegen, nicht nur die reine Wahrscheinlichkeit spiele eine Rolle. Auch ein nur mögliches, nicht zwingend wahrscheinliches Ereignis müsse mitgeteilt werden, wenn sein Eintritt Auswirkungen auf die Börsenkurse haben dürfte. Konkret argumentierte ein Aktionär, da Schrempp seine Rücktrittsabsicht bereits am 17. Mai 2005 - also gut zwei Monate zuvor - mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden besprochen habe und nach und nach weitere Personen bei Daimler davon erfuhren, hätte das Unternehmen auch die Öffentlichkeit informieren müssen.

Wie entschieden die Gerichte?

Zweimal scheiterte der Kläger, dessen Fall im Musterverfahren verhandelt wird, vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Das Verfahren ging dann aber bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der stärkte 2012 die Position von Aktionären (Rechtssache C-19/11). Nach Ansicht der Luxemburger Richter muss eine Aktiengesellschaft Informationen, die den Börsenkurs beeinflussen können, nicht erst beim förmlichen Beschluss, sondern schon vorher bei Zwischenschritten mitteilen. Die europäischen Richter gaben dem Aktionär damit im Grundsatz recht und verwiesen den Fall zunächst zurück an den Bundesgerichtshof. Nun beschäftigt das Oberlandesgericht sich erneut mit dem Thema.

Worum geht es nun noch in Stuttgart?

Das Stuttgarter Gericht muss nun die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofes überprüfen. Konkret geht es darum, ob die Ereignisse vor dem 27. Juli 2005 kursrelevant waren oder ob es um eine Ausnahme ging, weil die Vertraulichkeit gewährleistet werden konnte. Konkrete Schadenersatzforderungen werden in dem Verfahren eher nicht zur Sprache kommen, sondern später in den einzelnen Fällen verhandelt.

Wie könnte das Verfahren ausgehen?

Entweder bekommt eine Partei recht, dann könnte allerdings auch der Gang durch die Instanzen wieder von neuem losgehen. Aber auch ein Vergleich ist möglich. Allerdings müssten dem dann auch die übrigen Kläger zustimmen, die sich dem Musterverfahren angeschlossen haben.