Der Drogerieunternehmer Erwin Müller fühlt sich von der Schweizer Sarasin-Bank hintergangen. Nun fällt das Urteil. Doch in Zürich wird für Müllers Anwalt eine Gefängnisstrafe gefordert.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart/Zürich - Viel Unruhe dürfte den Ulmer Drogerieunternehmer Erwin Müller an diesem Freitag nicht mehr umtreiben. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) spricht sein Urteil im Schadenersatzprozess Müllers gegen die Schweizer Privatbank Sarasin – das Geldhaus versucht in diesem Prozess ein Urteil des Landgerichts Ulm vom Mai 2017 zu Fall zu bringen, wonach der Drogerieunternehmer rund 45 Millionen Euro zurückbekommt. Bei der mündlichen Verhandlung im vergangenen Juni hatte der Stuttgarter OLG-Richter Markus Kittel schon sehr deutlich anklingen lassen, Müller könnte 2011, als er der Bank seine Millionen zur Vermehrung anvertraute, hinters Licht geführt worden sein. „Nicht ansatzweise“ habe die Bank 2011 damals ihre Beratungspflichten erfüllt, so der Richter.

 

Die Einlagen Müllers und anderer Bankklienten wurden 2012 in den Luxemburger Sheridan Fund transferiert, dessen Geschäftsmodell es war, die deutsche Bundeskasse mit Aktiendeals auszunehmen. Solche aus dem Ausland gesteuerten sogenannten Cum-Ex-Geschäfte um den Dividendenstichtag von Aktien herum hatten das Ziel, eine Kapitalertragsteuer einmal an den deutschen Fiskus abzuführen, sie sich danach aber gleich mehrfach wieder auszahlen zu lassen. Viele Banken waren an dem Steuerbetrug beteiligt. Die Schätzungen des Schadens differieren. Nach Berechnungen einer Forschergruppe um den Wissenschaftler Christoph Spengel von der Universität Mannheim wurde der deutsche Staat seit 2001 auf diese Weise um 31,8 Milliarden Euro gebracht. Erst 2012 stopfte das Bundesfinanzministerium das Leck.

Erwin Müller verfolgt den Urteilsspruch aus der Ferne

Erwin Müller wird diesen Freitag zur Urteilsverkündung nicht in Stuttgart sein. Sein Mandant sehe dem Urteil ruhig entgegen, sagt der Stuttgarter Anwalt Eckart Seith. „Der Herr Müller ist Profi. Er nimmt die geschäftlichen Abläufe, wie sie sind.“ Die Zuversicht, die aus dieser Haltung spricht, lässt sich jedoch nicht auf das Rechtsverfahren übertragen, dem sich Anwalt Seith selber ausgesetzt sieht. Über Monate hinweg hat die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich gegen Seith und zwei deutsche Mitbeschuldigte, die einst bei der Sarasin-Bank arbeiteten, wegen Wirtschaftsspionage ermittelt. Es geht dabei um Unterlagen, die Seith zugespielt wurden und die offenlegten, dass die Sarasin-Bank schon früh gewusst haben muss, dass die Cum-Ex-Geschäfte rechtswidrig waren. Am 5. März hat die Züricher Staatsanwaltschaft ihre fertige Anklage beim Bezirksgericht Zürich eingereicht. Sie fordert für Seith wegen „wirtschaftlichen Nachrichtendienstes“ und anderer Vergehen eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren, für dessen Mitangeklagte drei Jahre und zehn Monate.

Volle Härte gegen den Stuttgarter Anwalt und die Whistleblower aus der Sarasin-Bank sowie die Rechtsprechung der baden-württembergischen Justiz – das ist die Botschaft dieser Anklage. Die Züricher Ankläger glauben offenbar nicht an einen Revisionserfolg der Sarasin-Bank in Stuttgart. Sie wollen, dass Seith auch für den verlorenen Prozess in Deutschland ins Gefängnis geht, wie aus der Anklageschrift hervorgeht. Dort steht mit Bezug auf das Urteil des Landgerichts Ulm vom Mai 2017: „Der Bank Sarasin entstand durch die Gutheißung der Klage ein Schaden in der Höhe von ca. Euro 45 Mio., da die Anteile am Sheridan Fund voraussichtlich wertlos waren und die Bank Sarasin zudem die Anwaltskosten der Gegenpartei und die Gerichtskosten zu tragen hatte.“

Der Anwalt versteht die Welt nicht mehr

Übersetzt heißt das: Müllers Anwalt soll noch länger hinter Gitter, weil er diesen Prozess gewann. Das sei „absolut crazy“, urteilt der Stuttgarter. Ohne seine Recherchen, fügt er hinzu, wäre in Sachen Cum-Ex-Betrug „das Bundesfinanzministerium wie der Ochs vorm Berg“ gestanden. Die von ihm erlangten internen Bankdokumente seien der Schlüssel zur Aufdeckung all dieser Geschäfte gewesen. Er weiß: „Das Justizministerium und das Auswärtige Amt haben die Sache im Auge.“ Doch was Hintergrunddiplomatie in seinem Fall wirklich bewirken könne, wisse er nicht.

Auf Politikerhilfe will sich Seith nicht verlassen. Er hat in der Schweiz ein Team von sechs Verteidigern gebildet, bereitet sich akribisch auf einen Prozess vor. Das Bezirksgericht Zürich indessen scheint noch Zweifel zu hegen. Es sei noch keine Entscheidung getroffen, ob die Anklage angenommen wird, sagte eine Sprecherin auf Anfrage: „Es sind noch prozessuale Fragen zu klären. Wir wissen derzeit nicht, wie es weitergeht.“ Frühestens Mitte, Ende Oktober gebe es einen neuen Nachrichtenstand.

Das Züricher Gericht zögert noch

Seith tut sich schwer damit, darin ein gutes Omen für sich zu sehen. Die Vorwürfe, mit denen er in der Schweiz überzogen wurde, seien für ihn „unglaublich belastend“, bekennt er. Zuweilen denkt er bereits über eine mögliche Verurteilung hinaus. Sollte die Schweiz tatsächlich ein Exempel an ihm statuieren wollen, werde er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen.