Das Sozialministerium kennt alle Kliniken, die schadhafte Brust-Implantate gekauft haben. Wie viele Frauen betroffen sind, ist noch nicht sicher.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Berlin - Die Zahl der Frauen in Deutschland, deren französische Silikonbrustimplantate vollständig gerissen sind, ist am Montag auf 26 gestiegen. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage mit. Das ganze Ausmaß der Schäden durch die fehlerhaften Kissen des französischen Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) dürfte damit längst nicht erreicht sein.

 

"Wir sind laufend dabei, die aktuellen Zahlen aufzubereiten", sagt ein Ministeriumssprecher in Berlin. Seit dem 23. Dezember gilt eine Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Danach sollten sich alle betroffenen Patientinnen die PIP-Silikonkissen vorsichtshalber entfernen lassen. Das Silikon müsse nicht reißen, um möglicherweise Schäden anzurichten, es könne auch langsam "ausschwitzen" - mit unabsehbaren Folgen für die Gesundheit.

Die Kliniken sind bekannt

Noch weiß niemand genau, wie viele Patientinnen betroffen sind. In Deutschland existiert kein zentrales Register für Brustimplantate. Nach Angaben der französischen Gesundheitsbehörden könnten in Deutschland 16.000 Frauen die seit April 2010 behördlich verbotenen PIP-Kissen in sich tragen. Als Quelle wird ein europäisches Beobachtungs- und Meldesystem für Medizinprodukte genannt, das mit den nationalen Behörden kooperiert. In Deutschland ist das BfArM für die Risikobewertung von Medizinprodukten zuständig.

Jetzt, nach dem Ende der Winterferien, sollen Kliniken und Praxen im ganzen Land bei der Suche nach ahnungslosen Patientinnen helfen. Gemäß einer Vorschrift zur Sicherheit von Medizinprodukten sind implantierende Ärzte verpflichtet, "essenzielle Daten" von Implantationspatienten, auch persönliche Angaben, aufzuzeichnen und 20 Jahre lang aufzubewahren. Die Mediziner müssen laut Verordnung in Schadensfällen wie dem vorliegenden selbsttätig mit Patienten Kontakt aufnehmen. Das BfArM hat am vergangenen Freitag alle betroffenen Ärzte aufgefordert, ihrer Meldeverpflichtung nachzukommen.

Das baden-württembergische Sozialministerium kann nach Angaben einer Sprecherin bis jetzt nicht abschätzen, wie viele Frauen aus dem Land geschädigt sind. Es sei jedoch bekannt, welche Kliniken mit den französischen Produkten beliefert worden seien, man habe mit diesen Adressen Kontakt aufgenommen. Namen werden nicht herausgegeben. Zumindest die Universitätskliniken bemühen sich, eine allgemein spürbare Beunruhigung zu dämpfen.

Krankenkasse übernimmt Kosten nicht

Die Uniklinik Ulm spricht von "vermehrten Anfragen verunsicherter Implantatträgerinnen". In Ulm, so der ärztliche Direktor der Frauenklinik, Rolf Kreienberg, seien "zu keinem Zeitpunkt" PIP-Implantate verwendet worden. Gleichlautend äußert sich beispielsweise auch die Universitäts-Frauenklinik Heidelberg. Die Abteilung Plastische Chirurgie am Universitätsklinikum Freiburg gab gestern ebenfalls Entwarnung.

Sie informierte aber zugleich, Patientinnen müssten damit rechnen, dass ihre Krankenkasse die Kosten für einen Prothesenwechsel nicht übernehme, vielleicht nicht einmal für eine einfache Entfernung. Zehn Frauen mit PIP-Implantaten, so ein Sprecher, hätten in Freiburg bisher nach ärztlicher Hilfe gefragt. Dass es Stolperfallen bei den Kassen gibt, bestätigte das Bundesgesundheitsministerium am Wochenende.

Im Falle einer drohenden Gesundheitsgefahr durch Implantate bestehe Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, wurde mitgeteilt. Es mache dabei keinen Unterschied, ob ein Implantat ursprünglich aus medizinischen Gründen eingesetzt wurde, zum Beispiel nach einer Brustkrebsoperation, oder aus kosmetischen Gründen.

Vor dem Eingriff genau nachfragen

Seit das BfArM eine Explantationsempfehlung für die PIP-Produkte gegeben hat, sei "grundsätzlich festgestellt", so das Bundesministerium, dass eine drohende Gesundheitsgefahr vorliege. Es kommt damit, was die Frage der Kostenerstattung angeht, nicht mehr auf die Einzelexpertisen der jeweiligen Operateure an. Für medizinisch indizierte Brustoperationen gilt das uneingeschränkt.

Doch im Fall von ästhetischen Operationen liegen die Dinge komplizierter: Dann dürfen die Krankenkassen prüfen, ob die Frauen an den Kosten der Behandlung zu beteiligen sind. Die Kostenträger dürfen Krankengeld für die Dauer der Behandlung ganz oder teilweise versagen oder zurückfordern. Kosten für ein Austauschimplantat übernehmen sie in keinem Fall, trotz der BfArM-Empfehlung. Patientinnen sollten vor einem Eingriff also immer genau nachfragen.

Möglich, dass der Implantatskandal mehr private Schönheitskliniken als Allgemeinkrankenhäuser trifft, doch Gewissheit gibt es derzeit auch darüber nicht. "Wir wissen es leider nicht", sagt ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft, in der auch Privatkliniken - aber eben nicht alle - organisiert sind. Die schiere Menge der Eingriffe mache einen Überblick schwer, so ein Sprecher. Schließlich bekämen in Deutschland 20.000 bis 25.000 Frauen jährlich Brustimplantate.

Ein Zusammenhang mit Krebs ist nicht erkennbar

Unklare Gefahr Die PIP-Brustimplantate enthalten minderwertiges Industriesilikon, das sich von medizinischem Silikon qualitativ unterscheidet. Was der Stoff anrichtet, wenn er im Körper freigesetzt wird, ist nicht völlig geklärt. In einer neuen Untersuchung, die von den französischen Gesundheitsbehörden in Auftrag gegeben wurde, konnte zumindest ein Zusammenhang zwischen den Schadimplantaten und möglichen Krebserkrankungen nicht nachgewiesen werden. Allerdings laufen europaweit weitere Untersuchungen. "Weiter gehende Empfehlungen", so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, könnten "derzeit nicht ausgeschlossen werden".

Kein Register Das Bundesgesundheitsministerium lehnt den Aufbau eines Brustimplantateregisters ab. Es sei kein Ersatz für das bestehende Beobachtungssystem, heißt es, auch wenn "die Datenlage zur Anzahl der in Deutschland betroffenen Frauen besser sein könnte". Auch eine staatliche Zulassung für Medizinprodukte lehnt das Ministerium ab. Es handle sich aktuell um "kriminelle Machenschaften eines Herstellers".