Mit hauchdünner Mehrheit lässt das Europaparlament einen umstrittenen Kompromiss zu den neuen Abgastests passieren – weil die EU-Kommission in letzter Minute noch weitere Zusagen gemacht hat. Die Autoindustrie begrüßt, dass nun Planungssicherheit herrscht.

Brüssel - Es ist ein parlamentarischer Krimi gewesen, der am Ende das von der Autoindustrie gewünschte Ergebnis gebracht hat: Mit 317 zu 323 Stimmen unterlagen am Mittwoch extrem knapp jene Europaabgeordneten, die einen aus ihrer Sicht völlig verwässerten Kompromiss zu den zukünftigen Emissionsobergrenzen unter realen Fahrbedingungen zu Fall bringen wollten. Die Befürworter des zwischen Experten der EU-Staaten ausgehandelten Deals aus dem Herbst hatten dagegen vor Verzögerungen gewarnt und darauf hingewiesen, dass Autos sonst noch länger nur auf dem Prüfstand unter Laborbedingungen getestet würden. Nun werden die Abgastest im Fahrbetrieb von September kommenden Jahres an Pflicht.

 

Konkret ging der Streit darum, in wieweit die Stickstoffemissionen auf der Straße über dem offiziellen Grenzwert liegen dürfen, dessen Einhaltung bisher freilich nur unter Idealbedingungen getestet wird. Im Falle eines Dieselautos mit der neuesten Euro-6-Norm sind 80 Milligramm pro gefahrenen Kilometer zulässig. Der nun abgesegnete Kompromiss auf Expertenebene von Ende Oktober sieht die Einführung eines sogenannten Konformitätsfaktors vor: Im Test auf der Straße darf nun erst einmal das 2,1-Fache ausgestoßen werden, also 168 Milligramm pro Kilometer. 2019 wird die Abweichung auf den Faktor 1,5 begrenzt – dann dürfen maximal 120 Milligramm des gesundheitsschädlichen Gases NOx in die Luft geblasen werden.

Scharfer Protest aus dem Europaparlament

Der Protest im Europaparlament hatte nicht lange auf sich warten lassen. „Die Vertreter der EU-Staaten haben über das neue Testverfahren de facto neue Grenzwerte für Stickoxidemissionen von Dieselautos beschlossen, die doppelt so hoch wie die 2007 beschlossenen Werte sind“, ärgert sich der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote noch heute. Der Umweltausschuss des Parlaments, dem er angehört, hatte deshalb mehrheitlich die Zurückweisung des Kompromisses gefordert.

„Ich hätte mir auch strengere Werte vorstellen können, aber bei einer Ablehnung der Werte hätte die Gefahr bestanden, dass wir auf Jahre hin weiter nur Tests im Labor gehabt hätten“, sagte der CDU-Umweltpolitiker Peter Liese, nachdem er den Kompromiss am Mittwoch doch noch unterstützt hatte: „Dies wäre für die Umwelt überhaupt kein Fortschritt gewesen.“

Ein „Besser-als-gar-nichts“-Kompromiss

Als Erfolg und Konsequenz aus der Volkswagen-Dieselaffäre konnte der Kompromiss nur deshalb verkauft werden, weil die Abweichungen vom Grenzwert in der Realität noch größer sind. „Wir wissen, dass diese Emissionen im Durchschnitt 400 Prozent höher liegen, manchmal also noch weit darüber“, sagt die Sprecherin der zuständigen EU-Kommissarin Elzbieta Bienkowska: „Weil sie den tatsächlichen Ausstoß besser wiedergeben, werden die Tests unter realen Fahrbedingungen die Luftverschmutzung durch Dieselfahrzeuge reduzieren.“

Um den Abgeordneten diesen „Besser-als-gar-nichts“-Kompromiss schmackhaft zu machen, hatte die EU-Kommission erst vergangene Woche ein umfangreiches Reformpaket vorgestellt, mit dem es weniger Mauscheleien bei Typengenehmigungen und mehr Reaktionsmöglichkeiten für die Behörden vor Ort geben soll, wenn ein Fahrzeug Umweltstandards nicht erfüllt. Die polnische Kommissarin trat zudem unmittelbar vor der Abstimmung im Straßburger Plenarsaal ans Mikrofon – was ungewöhnlich ist. Bienkowska machte dort im Namen der EU-Kommission die Zusage, dass über einen Gesetzesvorschlag der Brüsseler Behörde „der Konformitätsfaktor so früh wie möglich, spätestens jedoch im Jahr 2023 auf 1 reduziert wir“. Im Klartext: Dann sollen die vom europäischen Gesetzgeber verabschiedeten Grenzwerte auch wirklich unter allen Bedingungen gelten. Bienkowska forderte die Autoindustrie daher auf, „schon jetzt mit der Entwicklung von Fahrzeugen zu beginnen, die den Faktor 1 auch einhalten können“.

Autohersteller reagierten erleichtert

Die Hersteller reagierten erleichtert auf das Straßburger Abstimmungsergebnis, da sie bei einem Nein befürchtet hatten, keine Planungssicherheit und schließlich zu wenig Zeit zur Umstellung ihrer Produktionsstraßen zu haben: „Im Endeffekt würde das Verbesserungen der Luftqualität verzögert, speziell in den Städten“, hatte Erik Jonnaert, der Generalsekretär des europäischen Dachverbandes Acea, noch am Dienstag gewarnt. Das Votum begrüßte er entsprechend als „dringend benötigte Klarheit“, wenn auch die Einhaltung der neuen Fahrbetriebswerte eine „große Herausforderung" darstelle. Der SPD-Mann Groote sieht das anders: Er verwies darauf, dass Daimler schon heute in Kalifornien Diesel mit einem Stickoxidausstoß von nur etwa 30 Milligramm pro Kilometer anbiete, da es die dortige Gesetzgebung verlange.

„Die deutsche Automobilindustrie ist daran interessiert, so schnell wie möglich realistischere Angaben zu Verbrauch und Emissionen ihrer Modelle anbieten zu können“, teilte Verbands-Präsident Matthias Wissmann nach der Abstimmung mit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der VW-Skandal gerade dadurch ausgelöst wurde, dass die Stickoxid-Messwerte auf betrügerische Weise geschönt wurden.