Nach der gelben Karte der EU-Kommission in Sachen Feinstaub bekommt Stuttgart bald wohl eine zweite Rüge aus Brüssel – wegen zu hoher Stickoxidwerte. Mehrere Arbeitsgruppen suchen derzeit nach Gegenmaßnahmen. Eine Idee: Fahrverbote für Autos.

Stuttgart - Im Stuttgarter Verkehrsministerium, im Rathaus und im Regierungspräsidium herrscht Alarmstufe Rot: Wegen des von der EU angekündigten blauen Briefs in Sachen Stickoxid versuchen die Beteiligten, weitere Maßnahmen zu finden, um die in Stuttgart über dem Grenzwert liegenden gesundheitsschädlichen Schadstoffwerte zu senken. Die gelbe Karte wegen zu hoher Feinstaubwerte hat das Land bereits im November 2014 erhalten.

 

„Es gibt keine Denkverbote mehr“, sagt ein Beteiligter. „Auch wechselnde Fahrverbote für Wagen mit geraden und ungeraden Kennzeichen kommen auf den Tisch.“ Eine umweltgerechte Citymaut – bisher ein Tabuthema – soll ebenfalls zu den bis jetzt in verschiedenen Arbeitskreisen gesammelten Vorschlägen gehören. Für deren Einführung müsste der Bund allerdings zunächst die gesetzliche Grundlage schaffen.

Nachgedacht wird auch über einen zum x-ten Mal nachgebesserten Luftreinhalteplan sowie über strengere Auflagen für Kaminöfen. Durch eine Halbierung der Emissionen könne der Jahresmittelwert für Feinstaub um etwa fünf Mikrogramm pro Kubikmeter sinken, heißt es. Verzweifelt gesucht wird auch ein besserer Nahverkehr. „Busse und Bahnen sind rappelvoll, die S-Bahn notorisch unzuverlässig“, klagt Fachmann. Aber für den Ausbau des Nahverkehrs fehle das Geld.

Die Verkehrsmenge muss verringert werden

„Seit März sind wegen des von Brüssel angekündigten Vertragsverletzungsverfahrens in Sachen Stickoxide mehrere Arbeitsgruppen tätig“, bestätigt Ulrich Reuter, Leiter der Klimatologie im Umweltamt. Man rechne damit, dass die EU-Kommission das Verfahren vor der Sommerpause einleite. „Dann müssen Brüssel rasch konkrete Vorschläge gemacht werden, die geeignet sind, die Schadstoffwerte unter die Grenzwerte zu drücken.“ Ansonsten drohten hohe Geldstrafen. In den Arbeitskreisen dürften auch Ideen unterbreitet werden, für die noch Geld und Personal fehlen. „Das Land ist in Zugzwang“, sagt Reuter.

Für den städtischen Experten sind die technischen Möglichkeiten zur Senkung der Schadstoffwerte fast erschöpft. Deshalb müssten sich weitere Maßnahmen darauf konzentrieren, aufgewirbelte Feinstaubpartikel zu minimieren. „Das bedeutet aber auch, dass die Verkehrsmenge verringert werden muss“, so Reuter. Weniger Autos auf der Straße erhöhten auch die Chance, die Stickoxidwerte unter den Grenzwert zu drücken. Unter den Fachleuten gelten Dieselfahrzeuge als das größte Problem, weil deren Stickoxidausstoß im Stadtverkehr besonders hoch sei.

Laut einer aktuellen Studie der Landesanstalt für Umweltmessungen Baden-Württemberg (LUBW) halten moderne Euro-6-Diesel den Grenzwert von 80 Milligramm je Kilometer nur auf dem Prüfstand mit unrealistischen Bedingungen ein. Im Stadtbetrieb liegt der Schadstoffausstoß um das bis zu 8,5-fache höher. Ältere Selbstzünder haben innerstädtisch einen noch höheren Stickoxidausstoß. Deshalb soll es nach den Plänen von Verkehrsminister Winfried Hermann – wie bereits berichtet – eine blaue Zone geben, in der von 2020 an nur noch EU 6-Diesel fahren dürfen. Hermann plant eine Bundesratsinitiative, um die Rechtsgrundlage zu schaffen.

Beim Schadstoff-Gipfel am 27. Juli müssen der Verkehrsminister, Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Regierungspräsident Johannes Schmalzl entscheiden, welche Maßnahmen politisch geboten sind. Dann dürfte sich zeigen, ob es wirklich keine Denkverbote mehr im Kampf gegen die dicke Luft gibt. In seinem im Februar verkündeten Zwei-Stufen-Konzept setzt Hermann in Stufe 1 auf Appelle, Fahrgemeinschaften zu bilden und öfters auf das Auto zu verzichten. Falls diese Mahnungen verhallen sollten, so soll es in der Stufe 2 verpflichtende Maßnahmen geben. Umweltschützer und Anwohner am feinstaubreichen Neckartor glauben zu wissen, wann die Stufe 2 frühestens zündet: „Erst nach der Landtagswahl im März 2016.“