Eine junge Schäferin setzt die Tradition der Weidegemeinschaft im Goißatäle fort – und muss die Herde vor wildernden Hunden und anderen Räubern schützen.

Region: Corinna Meinke (com)

Mühlhausen - Seit Beginn der Weidesaison im April ist die Schäferin Christine Sigel in erhöhter Alarmbereitschaft. Nachdem bereits drei Schafe im oberen Filstal gerissen worden sind, ist sie stets auf der Hut, um ihre Herde zu schützen. Bei den Schäfern im oberen Filstal geht die Angst um, neben wildernden Hunden könnte auch ein Luchs hier sein Revier verteidigen.

 

Der Schafkadaver könnte auf das Konto eines Luchses gehen

„Das Rissbild ist nicht typisch für einen Hund“, erklärt Sigel beim Blick auf das Handyfoto, das einen ausgehöhlten Schafkadaver zeigt. „Hunde fressen keine Gedärme, die noch gefüllt sind. Und außerdem fehlt der Kopf,“ stellt die Schäferin fest, die derzeit ihre Elektrozäune noch penibler kontrolliert und schadhafte Stellen umgehend repariert. Neben dem Vandalismus durch Menschenhand muss sie ihre Herde auch gegen wildernde Hunde schützen. Sie vermutet, dass es sich dabei um Tiere handelt, die gerade zu Beginn der Feriensaison nahe der Autobahn ausgesetzt würden. Es seien sicher auch Streuner unterwegs.

Derweil bettelt Max, der altdeutsche Hütehund, springend um Aufmerksamkeit. Er sei ihr treuer Begleiter, lobt die Schäferin, doch sie wolle gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn eines Tages der Wolf im Täle auftauchen sollte. Das sei ihr Horror, dann könne auch Max nichts mehr ausrichten.

Die Schäferin setzt die Tradition im Goißatäle fort

Trotz allem liebt die 37-Jährige ihre Arbeit, das beweist auch ein Besuch in Sigels tierischem Kindergarten. Eine bunte Schar junger Ziegen und Schafe kommt neugierig angesprungen, als die Schäferin aus dem Auto steigt und die Jungtiere mit einer Kiste Lockfutter begrüßt. „Ich bringe ihnen jeden Tag trockenes Brot, damit sie wissen, dass sie herkommen sollen“, erläutert die junge Frau, sie seit rund einem Jahr stolze Besitzerin einer fast 400-köpfigen Herde in Mühlhausen ist.

„Weidegemeinschaft Goißatäle“ steht auf Sigels grünem Polohemd. Ein klangvoller Name, der nicht nur für einen erfolgreichen Modellbetrieb zur Erhaltung der wertvollen Wacholderheiden im oberen Filstal steht, sondern gleichzeitig die hiesige Weidetradition verkörpert. Begründer ist Guido Jakob, der 2004 in Mühlhausen mit den ersten Heidschnucken diese Tradition wieder aufleben ließ. Weitere Schäfer stießen dazu und gründeten die besagte Weidegemeinschaft, die 2015 mit dem Kulturlandschaftspreis ausgezeichnet wurde. Seit Jakob und andere Mitstreiter aus Altersgründen kürzer treten, hat Sigel die Herde übernommen, die auf rund 65 Hektar Steilhängen im oberen Filstal dem Namen Goißatäle alle Ehre macht.

Ein Schoppenlämmle hat sie bezirzt

„Früher habe ich die Schafe gehasst“, bekennt Christine Sigel, die in Weilheim (Kreis Esslingen) auf einem Schäferhof aufwuchs und ihren Vater begleiten musste, wenn die Tiere im Herbst von Bezgenriet zurück nach Aichelberg geführt wurden. Jahr für Jahr kroch ihr die Kälte in die Gummistiefel, bis die eiskalten Füße schmerzten – daran erinnert sie sich bis heute. Als sie viele Jahre später ein Lämmchen mit der Flasche aufziehen sollte, ließ sie sich vom Charme des Jungtiers bezirzen und legte sich nach und nach eine kleine Herde aus lauter Schoppenlämmle zu, berichtet die Schwäbin schmunzelnd. Als dann ihr Sohn bei einem Fest einen veritablen Schafbock gewann, war der Grundstock für die eigene Schafzucht gelegt.

Längst sind ihr die genügsamen Vierbeiner ans Herz gewachsen, zu denen neben den Merinos auch Heidschnucken, Coburger Füchse und Burenziegen zählen. Im Sommer verbringt Sigle täglich 14 bis 15 Stunden bei ihren Tieren, die auf verschiedene Weiden verteilt sind. Die junge Schäferin, die das Fleisch ihrer Tiere selbst vermarktet und mit den Produkten auf Märkte geht, baut derzeit auch einen Partyservice auf. Und sie setzt auf Öffentlichkeitsarbeit beim Sommer der Verführungen: Am 4. August lädt sie zu einer „Goißaführung“ ein, für die eine Anmeldung nötig ist unter der Telefonnummer 07335/2630.