Ob als Winzerin, Kellermeisterin oder schlicht als Chefin: In den Weinbergen der Champagne schaffen sich immer mehr Frauen ihren Platz. Anders als die Männer treten sie nicht gegeneinander an, sondern pflegen den Austausch.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Reims - Raureif liegt über den kahlen Rebbergen, die in der Morgensonne glitzern. Wie im Winterschlaf liegt es da, das gewellte, von der Natur gesegnete Land, wie eine Oase zwischen dem hektischen Paris und dem weltkriegsversehrten Verdun. La Champagne. Ihr Name ist weiblichen Geschlechts, anders als der Champagner, „le champagne“, der so maskulin ist wie all die hemdsärmeligen Winzer, die ihn seit Jahrhunderten keltern.

 

Nicht doch, sagt Brigitte Batonnet, Archivarin und wandelnde Bibliothek des lokalen Champagnerbüros CIVC in Epernay. Im 18. Jahrhundert seien es Frauen gewesen, die den goldenen Schaumwein am Hof von Versailles verbreitet hätten: die Gräfin du Barry oder die Marquise von Pompadour, von der das Zitat stammt: „Der Champagnerist der einzige Wein, nach dessen Genuss die Frau schön bleibt.“

Legendäre Champagner-Witwen

Später brachten die legendären Champagner-Witwen das Geschäft mit dem Edelsekt zum Blühen. Allen voran die Veuve Clicquot. Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin, wie sie mit bürgerlichem Namen hieß, musste nach dem Tod ihres Mannes 1805 gerade mal 27-jährig den Betrieb übernehmen. Sie leistete ganze Arbeit, revolutionierte ihr Gut und gleich die ganze Branche mit, sowohl geschmack- wie marketingmäßig.

Und Brigitte Batonnet ist mit ihrer Schilderung noch nicFht am Ende. Denn auch in den Weltkriegen, in denen die Männer auf den nahen Schlachtfeldern kämpften und starben, sorgten ihre Gattinnen für das Überleben der Champagnerzunft. Dieser Reflex hat sich bis heute erhalten: Immer wieder, und immer häufiger, springen Frauen in die Bresche, wenn in der Champagne Not am Mann – Pardon, an der Frau ist.

Die bekannteste ist Vitalie Taittinger, Vorsteherin der gleichnamigen Champagner-Marke aus Reims. Die 42-jährige Französin leitet seit zwei Jahren ein Familienunternehmen, das auf einen illustren Stammbaum aus Winzern, Ministern und Geschäftsleuten zurückblickt. Seit 2007 auf verschiedenen Posten im Betrieb tätig, bringt sie den 150-Millionen-Euro-Konzern wieder auf Kurs, nachdem ihm US-Investoren und entfernte Erben fast den Garaus gemacht hatten.

Was zählt, sind Arbeit, Talent, Energie – nicht das Geschlecht.

Dank Frauenpower? Vitalie Taittinger, die so viel Energie verströmt wie ihr Vorname, winkt lachend ab. „Ich manage unser Haus ganz anders als mein Vater, aber nicht, weil ich eine Frau bin“, sagt sie in ihrem tennisplatzgroßen Büro, das direkt über den berühmten Kellereien im Kreideboden liegt. „Was zählt, sind Arbeit, Talent, Energie – nicht das Geschlecht.“ „Im Geist“, da verkörpere der Champagner schon etwas Feminines, sinniert Madame. „Denken Sie an das Bild von Marilyn Monroe, wie sie eine ‚Flûte‘ de Champagne in der Hand hält – das ist für mich der Inbegriff der Eleganz und eine der schönsten Illustrationen dieses Getränkes.“

In der Flasche hingegen, da gebe es nur einen Geschmack, einen genderlosen. „Spüren Sie die Reinheit, den Geist der Champagne-Kreide, so pur, dass es fast knirscht?“, fragt die vitale Bossin, nachdem sie einen „Comtes de Champagne“, Jahrgang 2011, mit einer einzigen Handbewegung kredenzt hat. Und fügt an: „Wenn sich der Sekt erst zu erwärmen beginnt, dann kommt auch noch die Dichte dazu! Das ist der Geist der Champagne!“

Eine Hommage an die weibliche Eleganz

Einen Champagner für Frauen zu produzieren, wie das andere Champagner-Häuser vorgemacht haben, käme Vitalie Taittinger nicht in den Sinn. Obwohl sie selber schon auf einem sehr gestylten Schwarz-Weiß-Bild ihres Hauses posierte: Auf der Place Royale in Reims huldigte sie dem Taittinger-Geschmack im Speziellen und der Feminität im Allgemeinen. Das sei aber nur „eine augenzwinkernde Hommage an die weibliche Eleganz“, relativiert die vielleicht einzige Konzernchefin, die auf den Werbeplakaten ihres eigenen Unternehmens figuriert.

Doch Vitalie Taittinger setzt nicht auf Egotrips, sondern auf Zusammenarbeit im Betrieb. „Ich bin nur ein Glied in der Kette“, sagt sie beim Gang durch das Firmengelände, unter dem schon die Römer den Kalkstein abgebaut hatten, was zu den berühmten Kellerlagern führte. „Ich fördere die Teamarbeit, wo ich kann, vor allem mit meinem Bruder Clovis, der mein Direktor ist, zuständig für die Exporte.“ Als ihr Untergebener? „Ja, aber ich sehe unsere Rollen nicht in einer hierarchischen Ordnung.“

Sicherheit schließt Wagemut nicht aus

Als die Coronapandemie begann, dachte die Chefin nicht in erster Linie an den Absatz – er brach ohnehin branchenweit ein –, sondern an die 230 Festangestellten. „Es gab keine Kündigungen oder Lohneinbußen, denn mein Anliegen war es, dass sich in dieser Krise alle sicher fühlten“, sagt die Mutter dreier Kinder und eines Stiefsohns. „Emotionell sicher.“ Sicherheit schließt allerdings Wagemut nicht aus. Voraussehend, dass die idealen Rebenbedingungen und damit die Weinberge wegen der Klimaerwärmung langsam nach Norden „wandern“, hatte Taittinger jenseits des Ärmelkanals, in der englischen Grafschaft Kent, Rebland erworben; ab 2004 sollen die ersten Erträge anfallen.

Und weil die Vorsteherin eines Familienbetriebs in vierter Generation ihren Kindern eine nachhaltige Zukunft bieten will, setzt sie heute auf 288 Hektar Taittinger-Reben keine Herbizide mehr ein. Die Pestizide hat sie um die Hälfte reduziert. Nicht all ihre männlichen Chefkollegen sind so weit.

Kellermeisterinnen werden wie Fußball-Profis abgeworben

Aber sie bekommen nun Konkurrenz. Immer mehr Frauen übernehmen die Leitung kleiner und großer Champagner-Häuser. Den Anfang hatte Carol Duval-Leroy im Jahr 1991 gemacht: Nach dem Tod ihres Mannes übernahm die Belgierin mit 36 Jahren den Betrieb. Bis heute hat sie den Umsatz verzehnfacht. Zu diesem Zweck hat sie unter anderem eine „cuvée bio“, eine Bioausgabe, geschaffen. Und nebenbei auch einen Sekt namens „Femme de champagne“. Heute ist die resolute Winzerin längst nicht mehr die einzige Champagner-Chefin. Vitalie Taittinger ist ihr gefolgt, dann Maggie Henriquez, die dem Hersteller Krug vorsteht. Laurent Perrier wird von den Schwestern Alexandra und Stéphanie de Nonancourt geleitet. Bei Môet&Chandon (zum Luxusgüterkonzern LVMH gehörig) hat im November die Spanierin Berta de Pablos-Barbier das Sagen übernommen.

Oft noch wichtiger als die Firmenchefs, weil einflussreicher, sind in der Champagne die Kellermeister. Zunehmend Meisterinnen: Alice Tétienne kreiert den Schaumwein bei Henriot, Séverine Frerson bei Perrier-Jouët. Letztere war wie ein Fußballstar von Piper-Heidsieck abgeworben worden.

Erfolge mit preisgekröntem Premier Cru

Noch in der Minderheit, haben sich diese Champagner-Frauen bereits in zwei Clubs zusammengeschlossen: Fa’Bulleuses für die Winzerinnen, La Transmission für Chefinnen. Ziel sind neben der Geselligkeit in beiden Fällen der Austausch, die Solidarität, gegenseitige Hilfe. Mit von der Partie sind nicht nur Branchengrößen wie Taittinger, sondern auch Kleinwinzerinnen wie Laureen Baillette, die mit ihrer Mutter und Schwester fünf Hektar Rebfläche bewirtschaftet. Zu ihrem Chefjob war Baillette mit 24 Jahren gekommen – und, man ahnt es, fast über Nacht, als ihr Vater nach kurzer und schwerer Krankheit das Zeitliche segnete. Die junge Frau studierte noch kurz Önologie, bevor sie den Laden übernahm. Während dieser Zeit erhielten die drei verbliebenen Frauen der Trauerfamilie zahlreiche Übernahmeangebote von Winzern, die ihnen nicht zutrauten, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Heute, 16 Jahre später, hat Baillette die Firma stabilisiert; mit einem preisgekrönten Premier Cru feiert sie auch qualitativ Erfolge. Und niemand kommt mehr mit der lästigen Frage, ob sie das Gut verkaufen will.