Der neue Schafstall am Ortsrand von Stetten ist in diesem Winter erstmals voller Leben. Tierische Einblicke bei einer Fütterung.

Kernen - Er ist unübersehbar, der große, neue Holzbau am Stettener Krebenweg. Und nun, während der kalten Jahreszeit, auch unüberhörbar. In unterschiedlichen Tonhöhen blökt es aus dem Inneren unablässig. Es ist der erste Winter, den die Schafe von Christine Brencher hier verbringen. „Schafstall, erstellt 2019“, verrät ein angeschraubtes Schild.

 

Mit mobilen Gattern sind auf der anderen Hälfte des Stalls Boxen für verschiedene Schafrassen abgeteilt

Es ist mittägliche Fütterungszeit, Christine Brencher hat ihr Fahrrad an der Stirnseite des Stalls abgestellt und schließt die Tür auf. Der Duft wie von frisch gemähten Wiesen empfängt einen beim Schritt über die Schwelle: Die halbe Fläche des 200 Quadratmeter großen Stalls ist mit Heuballen gefüllt, bis nah unters Dach stapeln sie sich. Das Heu und das sogenannte Öhmd – das ist der zweite oder dritte Wiesenschnitt einer Saison, den die Schafe besonders mögen, weil er feiner ist – reicht für zwei Jahre. Falls die Ernte ausbleibt wie im heißen Sommer 2018, geht die Schäferin lieber auf Nummer sicher und hat die Speisekammer für ihre Lieblinge gut gefüllt.

Mit mobilen Gattern sind auf der anderen Hälfte des Stalls Boxen für verschiedene Schafrassen abgeteilt. Munter laufen Kärntner Brillenschafe umher, rauhwollige Pommernschafe, braune Bergschafe, Waldschafe und Krainer Steinschafe. Die Böcke haben ein eigenes Areal bekommen, das zur Decke hin ergänzend mit stabilen Planen verhängt ist. Ohne diesen Schutz könnten sie, wenn ihnen danach ist, problemlos die Gatter überspringen und die wollige Nachwuchsplanung der Schäferin durcheinander bringen. Jede Menge Nachwuchs ist eh schon da. Neben den 32 erwachsenen Tieren erkunden derzeit gut 20 Lämmchen ihre geschützte Umgebung. An diesem Mittag wird noch ein weiteres dazukommen.

Auf Streuobstwiesen am Ortsrand sind sie natürliche Rasenmäher

„Es war die richtige Idee zur richtigen Zeit“, sagt Christine Brencher über den Schafwanderweg in Stetten, der auf einem fünf Kilometer langen Rundweg Einblicke in das Leben und die Haltung von alten Schafrassen gibt. Auf Streuobstwiesen am Ortsrand sind sie natürliche Rasenmäher. Der Weg war eine der Attraktionen bei der Remstal-Gartenschau im vorigen Jahr, und er bleibt. Aber die Frage, wo die Tiere überwintern, war 2018 ein Politikum. Zunächst waren dezentrale Unterstände vorgesehen, wegen Wasserschutzzonen verweigerte das Landratsamt die Zustimmung. Eine Rundbogenhalle als vergleichsweise günstige Alternative wollte die Behörde auch nicht, letztlich investierte Kernen nach langer Debatte im Gemeinderat gut 60 000 Euro für den hölzernen Stall mit festem Fundament.

Christine Brencher, gelernte Landwirtin, ist hoch zufrieden. „Den Schafen hätte ja ein Dach genügt“, sagt die 44-Jährige, „mit Kälte haben sie kein Problem.“ Doch zu dezentralen Winterquartieren hätte sie immer rausfahren müssen, die Logistik mit Futter und Wasser wäre komplizierter geworden. Ganz alleine muss sie zwar nicht alle Arbeiten stemmen, ihre Schwiegermutter und 15 ehrenamtliche Helfer unterstützen sie. Gleichwohl ist Schäferin ein Fulltime-Job, an 365 Tagen im Jahr. Urlaub? „Will und brauche ich nicht“, sagt die Stettenerin. 2017 war sie mit ihrem Mann und den drei Kindern mal in Spanien. „Wir sind vorzeitig wieder abgereist.“ Sonne, Stand, Faulenzen – das war nicht lange die Welt der Brenchers.

Lautstark kommt ein vielstimmiges „Määäh“ aus allen Winkeln

Die Winterwelt rund um die Schafe sieht so aus: Morgens, mittags und abends schaut Christine Brencher im Stall nach ihren Schützlingen, verteilt eine Ladung frisches Heu – sie gibt es ein, wie es fachlich korrekt heißt – und füllt die Wassereimer auf. Noch karrt sie das erfrischende Nass in Kanistern her, aber ein Wasseranschluss ist ebenso in Aussicht wie eine Stromleitung. Dann hat das Provisorium mit LED-Strahlern und Autobatterie ausgedient. Was im Stall sonst noch fehlt? „Ein Fenster wäre gut“, sagt Christine Brencher. Nicht für die Tiere, die bekommen über ein durchlässiges Gewebe oben an den Wänden genug Licht und Luft. Das Fenster wäre für Passanten, die hier im wahren Wortsinn eine „gläserne Produktion“ sehen könnten. Bei einem Griff von Christine Brencher zu einem Eimer werden die Schafe plötzlich übermütig: Lautstark kommt ein vielstimmiges „Määäh“ aus allen Winkeln. Die Vierbeiner kennen das Geräusch von trockenem Brot in Eimern, das für sie offenbar ein besonderes Leckerli ist. Kaum, dass die Schäferin in flottem Laufschritt ihre Verteilrunde beendet und den Broteimer geleert hat, ist die willkommene Abwechslung auch schon vertilgt.

Jasper heißt das Böcklein

Christine Brencher behält bei alldem immer Morra im Auge, ein trächtiges Coburger Fuchsschaf kurz vor der Geburt, das sich in eine Ecke zurückgezogen hat. Irgendwann wird klar: Das Tier braucht ihre Unterstützung. Sie legt die Heugabel beiseite. „Wenn Lämmer kommen, müssen die anderen halt warten.“

Routiniert zieht die 44-Jährige einen Geburtshandschuh aus Kunststofffolie über, der ihr bis zur Schulter reicht, und ertastet den Nachwuchs im Geburtskanal. Als hätte sie es geahnt, schaut in diesem Moment die älteste Tochter vorbei und hält beruhigend Mama Schaf fest. Wenig später liegt ein kleines Böckchen erschöpft im Stroh, schwarz, nass glänzend. Der Papa ist eines der rauwolligen Pommernschafe. „Schau mal“, sagt Christine Brencher und schiebt das kleine Geschöpf der Mutter so an den Kopf, dass sie es riechen kann. „Es war einfach eng“, erklärt die Schäferin, weshalb die Geburtshilfe für das groß gewachsene Lämmchen nötig war. Um Mutter und Nachwuchs ein wenig Ruhe zu ermöglichen, bekommen sie einen eigenen, abgetrennten Bereich. Eine halbe Stunde später steht das Kleine etwas unbeholfen auf wackeligen Beinen und startet Trinkversuche an den Zitzen, die Nabelschnur hängt noch herunter. Jasper heißt das Böcklein. Alle Lämmer, die in diesem Monat hier zur Welt kommen, bekommen einen mit „J“ für Januar beginnenden Namen. Bald wird Jasper mit seinen jungen Kameraden neugierig und vorwitzig den Stall erkunden. Die Kleinen können locker durch die Gatter schlüpfen, und die Stallumgebung ist ein spannender Kindergarten.

Sie liebt die Tiere, das ist unübersehbar

Alle Schafe haben einen Namen, die erwachsenen kennt Christine Brencher gut. Jedes hat seinen eigenen Charakter, Streicheleinheiten mögen indes fast alle. Sie liebt die Tiere, das ist unübersehbar. „Geld ist nicht der Antrieb“, sagt die Stettenerin, die froh ist, wenn alles am Jahresende wenigstens Null auf Null aufgeht. „Ich wollte schon immer mit Tieren und der Natur arbeiten.“ Kurze Wege auch bei der Futterbeschaffung, im Einklang mit der Natur agieren, das ist ihr wichtig – und die Erhaltung von Arten. „Vom Aussterben bedrohte Tiere gibt es, weil sie keiner mehr braucht.“ Brauchen, das bedeutet für sie auch verwerten. Nicht nur die geschorene Wolle, auch Felle und das Fleisch. „Was man halten will, muss man essen“, lautet die schlichte Formel. Ihre Schafe nutzen Wiesen, die sonst keiner benötigt, haben ein gutes Leben, und irgendwann kommen sie eben auf den Teller. Etwa in Form von Lammbratwürsten beim jährlichen Fest mit ihren Ehrenamtlichen. „Viele Leute wissen doch gar nicht mehr, wo das Fleisch herkommt“, sagt sie.

Bevor Christine Brencher am Mittag weiterzieht, muss sie erst noch drei Lämmchen einfangen: Sie tollen ausgelassen zwischen lecker duftenden Heuballen umher, lassen sich aber bereitwillig zu den anderen zurücktragen. Bis zur nächsten Fütterungszeit trennt ein Gatter den Stall vom Heuvorrat. Dessen Stäbe sind so eng, dass auch die Lämmer nicht durchpassen. Spätestens im April, wenn das Gras wächst, dürfen alle Schafe nach draußen. Dann können sie wieder auf dem Schafwanderweg beobachtet werden.

Wer nicht so lange warten will: Um 8, 12 und um 19 Uhr sind am Stall die täglichen Fütterungszeiten. Besuch und Interesse ist ausdrücklich erwünscht – und Hilfe willkommen.