Das politische System hat die Schattenbanken jahrelang befördert. Inzwischen sind die Probleme gewaltig – und Peking sagt den illegalen Geldverleihern den Kampf an.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Peking - Wahrscheinlich werden nirgendwo auf der Welt mehr Schuhe produziert als in Wenzhou. Mehr als 1,5 Milliarden Paar pro Jahr, das besagen zumindest Schätzungen. Die mehr als sieben Millionen Bewohner der ostchinesischen Küstenstadt gelten im ganzen Land als die geborenen Geschäftsleute. Kein Wunder, schon 200 Jahre vor dem Beginn der westlichen Zeitrechnung soll es hier so etwas wie private Banken gegeben haben. Die Schlagzeilen, die Wenzhou in der jüngeren Vergangenheit produzierte, sind weit weniger positiv. Tausendfach standen die Menschen im Herbst vor zwei Jahren vor verschlossenen Fabriktüren, Hunderte von Eigentümern waren einfach abgetaucht, die Lohngelder mit ihnen. Zurück blieben Berge von Schulden und ein Schlagwort: die Wenzhou-Krise.

 

Wenn dieser Tage berichtet wird, dass in China das Geld knapp wird und sich die Banken keine Kredite mehr gegenseitig geben, wenn die Aktienmärkte in Fernost in den Keller rauschen und Analysten einen neuen, weltweiten Finanzcrash befürchten, dann ist das eine Folge der Wenzhou-Krise. Peking hat analysiert, warum eine ganze Stadt ins Straucheln gekommen ist, und das System der Schattenbanken als verantwortlich für die Misere ausgemacht. Denen soll nun das Geld entzogen werden. Xi Jinping, seit vergangenem November der Führer von Chinas Kommunistischer Partei und seit März dieses Jahres auch Staatspräsident, scheint seinen Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Denn Wenzhou, so die Erkenntnis der allmächtigen Staatsführung, ist inzwischen überall in China.

13 Milliarden Euro illegale Kredite in nur einer Stadt

Die Analyse deckt sich mit einer Untersuchung, die unlängst von der Schweizer Bank Crédit Suisse vorgelegt wurde. Die Frage sei nicht, ob Chinas Kreditblase platze, sondern wann und wie, schrieben die Schweizer. Auch sie erkannten, dass Geldbeschaffung und Kreditaktivitäten der Schattenbanken mit Unregelmäßigkeiten gespickt sind. Für Chinas Unternehmer sind die illegalen Geldverleiher Fluch und Segen zugleich. Die zu berappenden Zinsen sind enorm, aber es gibt zwei Gründe, um sich trotzdem in die Hände der unseriösen Geldverleiher zu begeben. Da ist zum einen der in Chinas Geschäftswelt besonders ausgeprägte Optimismus, dass schon alles gut gehen werde. Zum anderen steht da die schlichte Erkenntnis, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt, um an einen Kredit zu kommen. Heute ahnt man, dass die Schattenbanken vor zwei Jahren rund 13 Milliarden Euro an Krediten vergeben hatten – allein in der Gegend um Wenzhou.

Nun gibt es überall auf der Welt Kredithaie, in China liegt ein Grund für deren Erfolg aber im System. Die großen chinesischen Banken befinden sich allesamt in staatlicher Hand. Und der Staat hat den Geldinstituten Zurückhaltung bei der Kreditvergabe verordnet, um so die Inflation einzudämmen. Das funktioniert zwar, aber vor allem kleine Betriebe bekommen das zu spüren. Aufgrund ihrer Beziehungen kommen die großen Unternehmen nach wie vor zu Geld, die staatlichen sowieso, und das zu Zinsen von um die sechs Prozent. Den Kleinbetrieben bleibt nur der Weg zur Untergrundbank. Deren Ausprägungen sind extrem unterschiedlich.

Treuhandfonds und Vermögensverwaltungen pumpen Kapital in das System, große Unternehmen leihen sich das Geld bei den staatlichen Banken, um es über dubiose Tochtergesellschaften weiter zu verleihen. Die Zinssätze verdoppeln sich da schnell – wenn der Kreditnehmer Glück hat. Berichte von 60 Prozent Zinsen sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Da wundert es nicht, dass auch staatliche Stellen mitverdienen wollen. Manch eine Kommunalregierung betätigt sich als Banker. Illegal und ohne Wissen Pekings, mit zuvor ebenfalls ausgeliehenem Geld.

Das verbotene Geschäft soll legalisiert werden

Die Crédit Suisse schätzt die informelle Kreditvergabe im Jahr 2012 auf umgerechnet 2,8 Billionen Euro. Das Geschäft findet jenseits jeglicher Kontrollen statt. Peking ist daher zum Handeln verdammt und hat nun die Geldmenge gedrosselt. Gestern signalisierten die Währungshüter, die Daumenschrauben nicht zu kräftig anzuziehen. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert Ling Tao, den Vizechef der Zentralbankregion Schanghai: „Wir werden die Markterwartungen stabilisieren und die Marktzinsen auf ein vernünftiges Niveau bringen“.

Die aufgescheuchten Märkte hat das – zumindest vorübergehend – beruhigt. Für Peking ist die Arbeit aber noch lange nicht getan. Parallel laufen Versuche, die illegalen Geldverleiher zu legalisieren und als Privatbanken einer Kontrolle zu unterstellen – sowie die Staatsunternehmen dazu zu bewegen, Mittelständler zu fördern, und keine Spekulanten. Die haben nämlich schon lange ein weiteres Problem geschaffen, nämlich einen total überhitzten Immobilienmarkt.

Im Vertrauen darauf, dass die Preise immer weiter steigen, haben die Geldverleiher Milliarden in den Wohnungsmarkt investiert. Die Folge davon sind Wolkenkratzersiedlungen am Rande der Ballungsräume, in denen nachts kaum Lichter brennen: die Appartements sind viel zu teuer und bleiben unbewohnt. Dort liegt der Quadratmeterpreis in Peking derzeit bei etwa 4000 Euro. Ein Durchschnittlicher Hauptstadtbewohner bringt im Monat 800 Euro Lohn nach Hause.