Die einst karibischen Zustände im Kraichgau locken Wissenschaftler: In den 31 Millionen Jahre alten Meeresablagerungen der Tongrube Unterfeld bei Rauenberg im Rhein-Neckar-Kreis entdecken Paläontologen wertvolle Fossilien – darunter auch das weltweit älteste Kolibri-Skelett.

Rauenberg - Es ist ein Mekka für Paläontologen. Eine Fläche von gerade mal knapp einem Hektar, 90 mal 90 Meter. Rupelton nennt sich das Material, das dort liegt, nur wenige Meter südlich der Bundesautobahn, die von Walldorf in Richtung Sinsheim und Heilbronn führt. Das Grabungsteam lässt sich von der Geräuschkulisse der sechsspurigen A 6 im Hintergrund nicht stören. Denn hier gibt es wahre Schätze zu heben: Das versteinerte Fossil des ältesten Kolibris der Welt wurde hier schon gefunden. Ebenso Knochenreste einer Seekuh – oder eine Vielzahl von kleinen Fischen, die nur unter den klimatischen Bedingungen der Karibik überleben.

 

Christiane Birnbaum war schon mehrfach auf Schatzsuche in der Tongrube Unterfeld, der Grabungsstätte auf Gemarkung der Stadt Rauenberg im Rhein-Neckar-Kreis. Mit einem kleinen Messer bricht sie neugierig die Tonschichten auseinander: Hinter jeder der hellgrau schimmernden Platten könnte sich ein neues bedeutendes Fossil befinden. Die Präparatorin am Staatlichen Naturkundemuseum in Karlsruhe hat auch schon andernorts gegraben, in Mexiko etwa. Mit dabei ist Daniel Falk, der seit Februar als wissenschaftlicher Volontär am Naturkundemuseum im Referat Geologie und Mineralogie tätig ist.

Die beiden legen an diesem schwülheißen Sommertag die Schichten des feinkörnigen Tons frei. Da ist viel Geduld gefragt, Umsicht – und ein gutes Auge. Immer wieder schaut Daniel Falk durch ein Vergrößerungsglas, will genau wissen, was er da in Händen hält. Der Rupelton von Rauenberg ist reich an organischer Substanz und durchdrungen von kleinen Kalkbänken. Einst war das ein sehr wichtiges Material in der Bauindustrie. Fachleute sagen, schon in der Römerzeit sei die am Oberrhein und im Kraichgau einst reichhaltig vorhandene Tonart abgebaut worden. In den vergangenen Jahrzehnten wurde Kalk noch vor allem genutzt als Beimischung zur Herstellung von Dachziegeln.

Biologen und Geologen sehen den Rupelton aus einem komplett anderen Blickwinkel. Er sei „das letzte Fenster in das Zeitalter des Oligozän“, sagt Eberhard „Dino“ Frey, Kurator und Chefpaläontologe am Naturkundemuseum in Karlsruhe. 28 bis 34 Millionen Jahre alt sind diese Erdschichten, die wahrlich viel zu erzählen haben. Die in trockenem Zustand hellgrau und hart erscheinende Tonart sei entstanden als Sedimentablagerung am Meeresgrund, erklärt Frey. Rauenberg habe in jener Zeit an einer Bucht gelegen, in der sich der Schlamm absetzte, der zum Rupelton wurde. In der Rauenberger Bucht, von der Wissenschaftler sprechen, herrschte ein tropisches Klima wie in der Karibik.

Allerlei exotisches Getier kreuchte und fleuchte laut der wissenschaftlichen Expertise der Fachleute damals südlich von Heidelberg und Wiesloch: jagdlustige Haifische, Krokodile, Libellen und Kolibris, die sich wohlfühlten in der feuchtwarmen Luft der Farn- und Palmenlandschaft. Viel vom damaligen Leben ist bis heute ablesbar in den Sedimentschichten des Rauenberger Rupeltons. Zahlreiche Amateur- und Hobbypaläontologen waren schon aktiv in der Tongrube – in der bis zu Beginn der 2000er Jahre auch noch Material für die Bauindustrie gewonnen wurde.

Der bedeutendste Fund ist der nachweislich älteste Kolibri weltweit, das Alter der Versteinerung wird auf 32 Millionen Jahre geschätzt. Eine Platte aus zwei Hälften mit einer durchaus kuriosen Geschichte: Die Hauptplatte, also die Unterseite des Stücks, liegt als Teil der Sammlung im Naturkundemuseum in Stuttgart. Sie ist nicht permanent öffentlich zugänglich. Die obere Deckplatte – das Gegenstück – liegt in einer Vitrine der Dauerausstellung des Naturkundemuseums in Karlsruhe. Beide Stücke hatten sich zunächst unerkannt in privaten Sammlungen befunden.

Ausgegraben hatte die Hauptplatte einst das Ehepaar Annette und Harald Oechsler aus dem Nachbarort Waghäusel nördlich von Karlsruhe. Ohne die beiden wäre die Wertigkeit der Tongrube wohl unentdeckt geblieben, und vielleicht auch der Kolibri. Viele solche Versteinerungen sind wohl früher in Dachziegeln verarbeitet worden.

Kristina Eck nennt die Tonart des Rupeltons Fischschiefer. Der Name leite sich ab von einem Sediment mit Fischresten, geologisch sei es aber kein Schiefer, sondern ein bituminöser Tonstein, erklärt sie. Die dunkle Farbe des Tons weise auf anoxische Verhältnisse hin, eine Verhärtung weitgehend unter Sauerstoffabschluss. Die Doktorandin der Universität Heidelberg ist seit 2014 Grabungsleiterin in der Tongrube: Auf 10 000 Fundstücke beziffert sie die ausgegrabenen Fossilien, die verteilt sind auf sechs Sammlungen.

Am häufigsten wurden versteinerte Heringe, am zweithäufigsten Schnepfenmesserfische gefunden – danach folgen Seegrasfunde. Die Tongrube Unterfeld ist auf Jahre hinaus für Forschungszwecke erschlossen. Das ist einem Vertrag zu verdanken, den das Naturkundemuseum Karlsruhe und sein Referatsleiter Eberhard Frey und die Stadt Rauenberg unter dem damaligen Bürgermeister Frank Broghammer geschlossen haben – finanziell unterstützt von der Tschira-Stiftung.

Die Anzahl der Tage, die sie im Unterfeld bei Rauenberg verbracht hat, kann Kristina Eck nicht auf Anhieb beziffern. Die 36-Jährige weiß nur eins: Nirgendwo zuvor hat sie länger gegraben. Die Geologin mit Fachschwerpunkt Paläontologie machte vergangenes Jahr im Unterfeld ihren ersten spektakulären Fund: eine Kleinlibelle, gerade mal zweieinhalb Zentimeter lang. Das sei die dritte dieser Art, sagt sie. Die Suche ähnele dem Aufklappen einer Pralinenschachtel, die lauter Überraschungen birgt, berichtet sie.

Die größten Funde in der Tongrube, die im südlich angrenzenden Bereich mittlerweile verfüllt und dort von einer großen Solaranlage bedeckt ist, waren bis zu drei Meter lange Hochseethunfische und eine in Darmstadt ausgestellte Seekuh. Die Grabungsleiterin Eck hat vor Abschluss ihrer Doktorarbeit, in der sie die ökologischen Verhältnisse und die Artenvielfalt von Rauenberg beschreiben wird, noch einen ganz besonderen Wunsch: Sie würde gerne noch ein Krokodil ausgraben. „Das wäre natürlich bombastisch“, sagt sie und lacht.