Alternative Heilmethoden liegen im Trend. Viele Patienten vertrauen auf die Kraft sanfter Medizin. Phytotherapie, die Behandlung und Vorbeugung von Erkrankungen mit Hilfe von Pflanzen, ist das älteste und am besten erforschte Naturheilverfahren. Ein Überblick über die wundersamen Heilkräfte der Natur.
Heilkräuterkunde ist der Inbegriff sanfter Medizin. In Pflanzen verbirgt sich eine heilende Kraft, auf die Menschen seit Urzeiten vertrauen. Das entsprechende medizinische Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben.
Pflanzen bildeten die Ausgangsstoffe zur Herstellung von Arzneimitteln. Phytotherapie, die Behandlung und Vorbeugung von Erkrankungen mit Hilfe von Pflanzen, ist das älteste Heilverfahren, das schon im sechsten Jahrtausend v. Chr. angewandt wurde.
Aus- und ableitende Verfahren
Jahrtausende bevor Antibiotika, Schlaftabletten und Psychopharmaka erfunden wurden, hat man Krankheiten mit natürlichen Heilmitteln behandelt. wie der Aderlass, das Schröpfen und die Blutegeltherapie, Heilkräuterkunde und Badeheilkunde (Hydrotherapie) waren schon den alten Römern bekannt.
Der Arzt Claudius Galenos, der im zweiten Jahrhundert in Kleinasien lebte, prägte mit seiner Vier-Säfte-Lehre die abendländische Medizin. Was den Chinesen ihr Qui - die Lebensenergie - ist, ist den Europäern ihr Körpersaft: schwarze und gelbe Galle, Blut und Schleim.
Ihre Blütezeit erlebte die europäische Kräuterheilkunde im Mittelalter. In den Klöstern wurde das medizinische Wissen der Kelten, Griechen und Römer überliefert und praktiziert.
Empirisch begründete Behandlungsmethode
„Die Phytotherapie ist eine empirisch begründete Behandlungsmethode, die anders als die spirituell orientierte Traditionelle Chinesische Medizin und Ayurveda vor allem handwerklich arbeitet“, erklärt der Arzt und Naturheilkundler Wolfgang Sanwald, der eine Praxis in Liestal bei Basel betreibt.
Die ganzheitlich denkende Naturheilkunde greift vor allem auf Erkenntnisse zurück, die in den Klöstern überliefert wurden. Das Lorcher Arzneibuch von 790, das „De Viris herbarum“ Odo de Meungs (11. Jahrhundert) und vor allem die „Physica“, das naturheilkundliche Kompendium Hildegard von Bingens (12. Jahrhundert), prägten bis ins 19. Jahrhundert diese Form der Heilkunde.
Moderne Medizin ohne Phytotherapie nicht denkbar
Es ist eine wahre Schatztruhe, aus der traditionelle Mediziner schöpfen: Bei der Hydrotherapie etwa setzt man auf die heilende Kraft des Wassers. Durch Waschungen, Dampfanwendungen und Wickel wird das Kreislauf-, Nerven- und Immunsystem stimuliert. Durch Aderlass und Blutegeltherapie wird die Immunabwehr angeregt, entzündliche Prozesse werden bekämpft.
Bis zum Aufkommen synthetisch-chemischer Präparate gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Kräutermedizin das wichtigste Therapieverfahren, um Krankheiten zu behandeln. Heute kennt man mehr als 3000 Heilpflanzen, gut 500 von ihnen werden zur Herstellung von Arznei genutzt.
Eine Vielzahl der verschriebenen Arzneimittel basiert auf pflanzlichen Substanzen. Im Unterschied zu synthetisch hergestellten Medikamenten, die in der Regel nur einen Wirkstoff enthalten, liegt die Kraft der Kräuter in der Vielzahl ihrer Inhaltsstoffe wie ätherische Öle, Bitterstoffe, Schleimstoffe, Flavonoide, Vitamine oder Mineralstoffe. Heilkräuter sind in Form von Tinkturen, Tabletten, Kapseln, Salben, Tees oder Badezusätzen erhältlich.
Selbstheilungskräfte des Körpers
Die Heilkraft der Kräuter liegt nicht in der separaten Verwendung einer Substanz, sondern im Synergieeffekt und in der Kombination einzelner Wirkstoffe begründet. Ziel der Phytotherapie ist die Wiederherstellung und Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Körpers. Deshalb werden die Mittel individuell auf den Gesundheitszustand und die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten.
Kamille und Arnika beispielsweise hemmen mit ihren ätherischen Ölen Entzündungen, Fenchel und Kümmel sind blähungstreibend und regulieren die Magen-Darm-Funktion. Teebaum und Ringelblume sind antimykotisch und eignen sich zur Behandlung von Wunden, Verbrennungen und Pilzinfektionen.
Fenchel, Thymian und Melisse galten schon im Mittelalter als Mittel gegen Verdauungsbeschwerden. Das Kernöl der Johannisbeere enthält Gamma-Linolensäure, ein Stoffwechselprodukt, das Menschen mit Neurodermitis fehlt. Baldrian und Johanniskraut lindern Unruhezustände und Depression.
„Die Naturheilkunde“, sagt Sanwald, „ist eine Komplementär-Medizin. Sie ergänzt die Schulmedizin, die auch nicht auf alles eine Antwort weiß.“
Hilfe bei chronischen Beschwerden
Hauptanwendungsgebiete von Heilpflanzen sind chronische Beschwerden wie Migräne, Arthritis und Allergien. Akute und schwere Erkrankungen müssen schulmedizinisch behandelt werden. Pflanzliche Heilmittel liegen im Trend, auch weil sie gegenüber konventionellen Medikamenten weit weniger Nebenwirkungen haben. Allerdings dauert es wesentlich länger, bis sie wirken.
Fazit: Mehr als nur Placebos
Die chemische Keule ist zwar noch immer erste Wahl, wenn die Ärzte Medikamente verordnen. Doch nach einem langen Dornröschenschlaf erlebt die traditionelle Medizin eine Renaissance; Heilschriften kommen wieder auf den Tisch, Pharmakonzerne sehen in natürlichen Ressourcen einen Markt.
Kritiker sehen in Phytopharmaka nur Placebos, deren Wirkung mehr auf einem psychologischen Effekt als auf nachprüfbaren Fakten beruht. Oft werde mehr versprochen, als der Hersteller halten kann. Tatsächlich ist das komplexe Wechselspiel der Wirkstoffe bisher nur unvollständig erforscht.
Nur wenige Arzneipflanzen sind so gut untersucht wie die Weidenrinde, aus der Salicin isoliert wird (Grundstoff von Aspirin), oder das Digitoxin des Fingerhuts, aus dem ein Herzmedikament gewonnen wird.