Ob Goethes Faust, Pumuckl oder Sweeney Todd: Unter freiem Himmel wird in der neuen Freilichttheater-Saison, die am heutigen Sonntag startet, Deftiges und Heiteres geboten. Welches Stück wo gespielt wird zeigen wir in einer interaktiven Karte.

Stuttgart - Micha kommt von einem Bauernhof aus dem Hohenloheschen, mit vielen Äckern und Wiesen liegt der Hof an der Hangkante des mittleren Jagsttals, hoch über einem Weiler, der kaum noch 20 Einwohner zählt. Natur ringsum. Doch Natur ist für Micha, der die Realschule besucht, so etwas wie eine Werkstatt – sie muss bearbeitet werden. Viele tausend Puten, Rinder und Schweine verlassen jährlich den Hof, der zu den Großen im Lande gehört.

 

Nur an den steilen Hängen des Flüsschens Brettach weiden seine Limpurger Rinder, eine alte, kleinwüchsige Rasse, die wunderbares, feinfasriges Fleisch liefert. Der Vater hilft, sie vor dem Aussterben zu bewahren. Vor 200 Jahren waren die Tiere in einem wochenlangen Treck zu Abertausenden in das hungernde Paris getrieben worden. Das brachte Reichtum in die gerade von Napoleon geteilte Landschaft und begründete den legendären Ruf des Boeuf de Hohenlohe. Micha, der künftige Hofnachfolger, ist ein aufgeweckter Junge. Sein Spielplatz ist schon immer der Bauernhof, der auch die Woche über so aufgeräumt aussieht, als sei jeder Tag Sonntag. Kaum dass er laufen konnte, fuhr er schon mit dem Kettcar durch die Gegend und durch die Bullen- und Kälberställe. Heute bedient er wie selbstverständlich größere Geräte. Und er spricht wie sein Vater über die Landwirtschaft, was heißt, dass manches aus seinem Munde etwas altklug klingt. Tatsache ist, jene Ecke Hohenlohes, die unmerklich in die Rothenburger Landwehr übergeht und zunehmend fränkischen Charakter annimmt, bleibt im Sommer zu trocken.

Die Karte gibt eine Übersicht über die in dieser Saison aufgeführten Stücke.


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Leichte Kost mit „Sugar“

Mit seinen beiden älteren Schwestern geht es also eines schönes Hochsommernachmittags in die nahe Kreisstadt. Alle drei sind Feuer und Flamme und sehr gespannt auf den Theaterbesuch. Nein, man wollte nicht den „Faust“ für sich erobern, man hatte sich für das Musical „Sugar“ entschieden. Leichte Kost also, den Temperaturen angemessen. Den Dreien aus dem Jagsttal mit ihren offenen, strahlenden Gesichtern ist die Spannung und Erwartung durchaus anzumerken. Deshalb gibt es keine kulturhistorischen Ausführungen und Spaziergänge durch die Gassen der Salzsiederstadt. Stattdessen wird zielgerichtet jene italienische Eisdiele angesteuert, in der sich schon vor Generationen die Gymnasiasten von St. Michael mit den Schülerinnen des Backfischaquariums vom nahen Haalplatz getroffen haben. Direkt neben der Anstalt für höhere Töchteranstalt wurden Schweine und Kälber versteigert.

Das Musical „Sugar“ folgt den Spuren des schon legendären amerikanischen Streifens „Some like it hot“, einer Filmkomödie von Billy Wilder, mit Marilyn Monroe, Tony Curtis und Jack Lemmon in den Hauptrollen. Was Miller als subversive Geschlechtertauschkomödie erdacht hatte, mutierte in dem Broadway-Musical zum großen Beziehungsdrama.

Gelacht wurde im Publikum auf dem Schwäbisch Haller Marktplatz aber trotzdem viel, besonders dann, wenn Männer auf der Treppe plötzlich Frauenkleider anziehen und mit aufgeschnallten Kissenbrüsten und in hochhackigen Schuhen über die Treppe stolpern. Micha und seine Schwestern Luisa und Carina lachten allerdings nicht lauthals, ihnen entlockte das Geschehen eher ein Schmunzeln. Aber nach zwei Stunden, als schon längst die Dunkelheit hereingebrochen war, klatschten sie doch kräftig in die Hände.

Wetter als entscheidender Faktor

Freilichtspiele heißen so, wie sich jedermann vorstellen kann, weil sie im Freien spielen. Meistens sogar unter dem klaren, oft von Sternen beschienen Himmelszelt. Doch die Art und Weise und Umstände, unter denen die Gaukler Slapstick, Drama, Komödie, Musical oder Kinderstück darbieten, sind nicht mehr so, wie sie einmal waren. Die Rede ist vom Wetter. Es ist der größte unkalkulierbare Faktor jeder Spielzeit, schlimmer als die Krankmeldung eines Schauspielers kurz vor Spielbeginn. Regen also ist der eigentliche Feind der Spiele, schlimmer als ein Publikum, das auf seinen Händen sitzt und vergisst, sich bei den Schauspielern mit Beifall zu bedanken. Sieht man einmal von dem großen Spielort Salzburg ab, wo die Freilichtaufführungen auf dem Domplatz stets die Anmutung eines gesellschaftlichen Ereignisses haben, dreht es sich bei den meisten der vielen und immer noch wie Pilze aus dem Boden schießenden Spielorte um gute Unterhaltung und deftiges Volkstheater.

Erfahrene Besucher erscheinen oft warm gekleidet auf dem Platz, haben meist eine Decke unterm Arm, um weicher zu sitzen oder um das Plaid notfalls bei zunehmender Abendfrische um die Beine zu schlingen. Statt eines Vesperbrots oder Popcorns tragen sie ein Hustenbonbon bei sich, denn Hüstelkaskaden werden ebenso als störend empfunden wie knisterndes Butterbrotpapier. Ebenso unerwünscht sind Regenschirme.

Versierte Freilichttheatergänger haben deshalb ihren Plastikschutz in der Tasche, um sich vor unliebsamen Güssen zu schützen. Denn weil überall der Sparminister herrscht, werden auch bei diesen Open-Air-Events und unsicherer Wetterlage keine Regenschutzhauben mehr verteilt.