Am Montag läuft im ZDF die erste Verfilmung eines Krimis von Wolfgang Schorlau: „Dengler – Die letzte Flucht“. In der Titelrolle ist der vielgefragte Ronald Zehrfeld zu sehen.

Berlin - Am Anfang steht ein Alptraum: Mit aufgerissenen Augen, in Schweiß gebadet und eingeschnürt von einer Zwangsjacke schlägt Georg Dengler verzweifelt um sich. Er liegt in einem Krankenbett, steht Todesängste aus und versucht, sich von Fesseln zu befreien – auch von Fesseln im Kopf, die zu Bildern gerinnen und bruchstückhaft an ihm vorbeiziehen. Der erste NSU-Mord in der Kölner Keupstraße, die Berichte im Fernsehen und die Erklärung des Bundesinnenministers, der einen rechtsradikalen Hintergrund ausschließt: Zeitdokumente in Schwarzweiß, in die grünstichig gespenstisch der Chef des Bundeskriminalamts platzt. „Niemand kann sich gegen das System stellen. Niemand“, sagt die Cheffratze am Krankenbett, bevor Dengler aus dem Alptraum hochschreckt, in der Realwelt anlangt, zur Pistole greift und seine Wohnung durchsucht. Weil er den offiziellen Statements zum Nagelbombenattentat misstraute, hat ihn das „System“ ausgespuckt. Jetzt ist Dengler traumatisiert und seinen Job als BKA-Zielfahnder los.

 

Mit kreisender Kamera und nervös pulsierender Musik eröffnet Lars Kraume seinen Politthriller „Dengler – Die letzte Flucht“, der am Montag um 20.15 Uhr im ZDF gezeigt wird. Die Alptraum-Ouvertüre ist hochverdichtet, jede Sekunde zählt und hält Informationen bereit, die uns in das Vorleben des Stuttgarter Privatermittlers einführen. Schon immer hat sich Dengler mit anonymen Mächten angelegt, festgehalten in sieben erfolgreichen Romanen, die seinem Erfinder Wolfgang Schorlau eine Gesamtauflage von fast einer Million eingebracht haben. Und wer die Bücher des Stuttgarter Autors kennt, der weiß, dass sie mit ihren harten filmischen Schnitten geradezu nach der Leinwand geschrien haben. Jetzt ist es soweit: Der erste Dengler-Film ist da, mit Schorlau als Co-Autor neben Kraume und einer Besetzung der Titelrolle, die geradezu kongenial ist. Das Gesicht, um das die Kamera kreist, in Großaufnahmen Schwindel, Schweiß und Schrecken einfangend, gehört Ronald Zehrfeld. Hollywood nennt ihn den „deutschen Russell Crowe“.

Einst galt er als Olympia-Hoffnung im Judo

Tatsächlich: der Vergleich stimmt, zumindest äußerlich. Mit dem US-Star teilt der 1977 in Ost-Berlin geborene Zehrfeld nicht nur Bart und Wuschelhaar, sondern auch die Statur. Einsneunzig ist er groß, muskulös und sportlich, was damit zusammenhängen könnte, dass er mit elf Jahren die DDR-Jugendmeisterschaften im Judo gewonnen hat und fortan als Olympia-Hoffnung galt. Heute ist er achtunddreißig und füllt jeden Türrahmen aus, auch in dem Café im Prenzlauer Berg, das er für unser Treffen ausgewählt hat: „Ich wohne um die Ecke. Und ich komme gerne hierher, weil es in diesem Café angenehm ruhig ist.“ Und ruhig muss es auch sein. Der den roten Teppich meidende, eher heimlich in die erste Liga aufgestiegene Schauspieler spricht jetzt nämlich schnell und hochkonzentriert über Dengler und seinen Kampf gegen die Schurken aus Politik und Wirtschaft.

Hoppla, Schurken? Sind sie es, die uns heimlich regieren? Uns heimlich steuern und finanziell ausnehmen, wie es die Pharma-Konzerne tun, deren Machenschaften in der „Letzten Flucht“ von Dengler aufgedeckt werden? „Eine Grundskepsis gegenüber dem, was uns in den Nachrichten als Wahrheit verkauft wird, halte ich nicht für falsch“, sagt Zehrfeld. Und schon denkt und redet er weiter, sinniert über „Wahrheit“ und beruft sich auf medienkritische Bücher, die er „verschlungen“ hat. Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ gehört ebenso dazu wie Dave Eggers „Circle“. Was er aus diesen Schriften über die digitale Gegenwart erfahren hat, bringt Zehrfeld schlagend auf den Punkt: „Es zählen heute nicht mehr Panzer. Es zählen Satelliten und Netzwerke, Internet, Facebook und NSA. Kriege werden mit Informationen gewonnen“ – und ebenda, im Dickicht zwischen Meldungen und Falschmeldungen, PR-Prosa und Propaganda, verortet er auch seine Filmfigur: „Dengler ist ein freies Radikal. Er sucht nach der Wahrheit hinter den Dingen. Aber das noch freiere Radikal ist Olga.“

Zehrfeld hetzt durch das Röhrensystem der U-Bahn

Anders als im Buch ist die von Birgit Minichmayr famos gespielte Computerfrau noch nicht die Freundin des Stuttgarter Privatdetektivs, sondern eine Hackerin aus der autonomen Szene in Berlin. „Coole Frau“, sagt Zehrfeld und meint damit Rolle und Darstellerin zugleich – und eine coole Umdeutung und Radikalisierung der Vorlage, der in dem Film noch weitere folgen, ist diese Punk-Olga eben auch. Dengler-Fans können sich auf was gefasst machen!

In seinen Grundfesten aber wird der Schorlau-Plot nicht erschüttert, weshalb Dengler auch in der Filmversion nach Berlin gerufen wird, um einem ins Visier der Pharma-Industrie geratenen Arzt beizustehen. Wenn der beneidenswert durchtrainierte Zehrfeld dann durch das Charité-Krankenhaus und das Röhrensystem der U-Bahn hetzt, spielt er seine ganze körperliche Präsenz imposant aus. Aber wenn er, in einer Ruhe- und Verschnaufpause der „Letzten Flucht“, auch seinen Sohn in Stuttgart anruft, weil es mit dem versprochenen Besuch des VfB-Spiels wieder nichts wird, fügt er seinem Actionhelden noch etwas Wesentliches hinzu: eine Weichheit und Empfindsamkeit, eine Melancholie und Empathie, die man von diesem handfesten Mannsbild nicht unbedingt erwartet hätte.


Aber genau darin liegt Zehrfelds Stärke: Auf einzigartige Weise paart er physische Präsenz mit emotionaler Intelligenz. Diese faszinierende Kombination ist es, die den „deutschen Russell Crowe“ auch im Kino zu einem gefragten Darsteller gemacht hat. Nachdem er mit dem Dominik-Graf-Zehnteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ seinen Durchbruch hatte, spielte er in zwei Filmen von Christian Petzold mit, jeweils an der Seite von Nina Hoss. Neben „Phönix“ war das „Barbara“ aus dem Jahr 2012.

Zehrfeld spielt darin einen in die DDR-Provinz strafversetzten Arzt. Trotz allem will er seinem Land und seinen Menschen noch immer helfen. Warum, erklärt er mittels einer Bildinterpretation: In seinem bescheidenen Labor hängt das Poster von Rembrandts „Anatomie des Dr. Tulp“, das er mit einer Einfühlungskraft deutet, die ihn nicht nur als Kunstfreund ausweist. Dieser Arzt ist auch ein Freund der Patienten und wird seinem hippokratischen Eid treu bleiben, komme, was wolle. Nicht nur seine Kollegin in Weiß erkennt: Zur Grundausstattung dieses bärenhaften Mannes gehört auch eine Menge Sensibilität.

Freilich, als Dengler hat Ronald Zehrfeld für solche Gefühlsdinge nicht immer Zeit. Und wenn er jetzt aus dem Fenster des Prenzelberg-Cafés blickt und mit ruppigem Charme das Wetter kommentiert, ist er mit seinem Sprachduktus auch wieder ganz nah dran am Stuttgarter Privatermittler: „Ich bin so froh, dass die Sonne rauskommt. Wenn in Berlin die Hundescheiße anfängt zu stinken, kehrt auch das Leben zurück.“ Ein Satz wie von Schorlau. Die Entlarvung der Schurken kann beginnen.