Die Schauspielerin Margarita Broich liebt gegensätzliche Rollen – so wie in dem Ulla-Hahn-Biopic „Aufbruch“, das die ARD am Mittwoch zeigt, und schon bald im nächsten Frankfurter „Tatort“ als Anna Janneke.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - „Et will studiere“, sagt die Mutter. „Et“, das ist das Kind, die Tochter Hilla, die mit ihrem Bildungsdrang, ihrer Begeisterung für Lyrik und Literatur völlig aus der Art geschlagen ist. Hilla liest Goethe und spricht Hochdeutsch – der Vater malocht in der Fabrik, die Mutter putzt bei feinen Leuten und steht die meiste Zeit daheim am Herd. Wenn die Arbeitereltern dem Kind die Flausen austreiben wollen, tun sie das in rheinischem Kauderwelsch.

 

Margarita Broichs Singsang klingt nicht aufgesetzt. „Man spielt viel körperlicher durch einen Dialekt“, sagt die hochgewachsene Schauspielerin, die Hillas Mutter verkörpert. Vor acht Jahren schlüpfte sie in dem ARD-Zweiteiler „Teufelsbraten“ erstmals in die Rolle der schlichten Proletarierfrau, die ihrer Tochter voller Unverständnis, schroff begegnet, auch mal handgreiflich wird. Damals schon habe sie sich den Dialekt angeeignet, was ihr nicht schwer fiel: Broich ist in Neuwied als eines von vier Kindern in einer Arztfamilie groß geworden und hat rheinländische Wurzeln.

„Teufelsbraten“ war die ARD-Verfilmung von Ulla Hahns autobiografischem Roman „Das verborgene Wort“ und wurde 2009 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. „Aufbruch“ setzt nun die Geschichte der Hilla Palm, die gegen große Widerstände ihre ärmliche Herkunft und traditionelle Rollenbilder in der Adenauer-Ära überwinden will, fort – wieder mit Hermine Huntgeburth als Regisseurin, Volker Einrauch als Autor, Anna Fischer als Hilla sowie Ulrich Noethen und Margarita Broich in den Rollen der Eltern. Broich spielt die Mutter mit einer erdigen Kantigkeit; unbeholfen, fast täppisch, verhärmt; die Enge ihres Kinder-Küche-Kosmos hat sie so verinnerlicht wie die katholische Gottesfürchtigkeit.

Der „Star der deutschen Theaterszene“ hat sich auf Film und Fernsehen verlegt

„Aufbruch“ ist präzises, einfühlsames Porträt, Emanzipationsgeschichte, stimmige Epochen- und Sozialstudie. Nur elf Tage nach dem Biopic, am 18. Dezember, ist Margarita Broich dann als Kommissarin Anna Janneke im Frankfurter „Tatort: Wendehammer“ zu erleben, dem vierten mit dem Gespann Brix/Janneke. In der HR-Ausgabe des Sonntagskrimis ist Broich eine starke Großstadtfrau: eigenwillig, lebenserfahren, hartnäckig bis zur Sturheit, eine, die in sich ruht und ein großes Leuchten haben kann. In „Wendehammer“ tanzt sie barfuß, mit sehnigen Waden auf einer Party, verströmt unbändige Lebensfreude und Sex-Appeal. Ein krasser Gegensatz zu „Aufbruch“. Ja, sagt sie, „diese beiden Figuren liegen schon sehr weit auseinander, aber genau das ist es, was mir Spaß macht“.

Broich, die erst Fotodesign in Dortmund, dann Schauspiel in Berlin studierte, war elf Jahre festes Mitglied des Berliner Ensembles, spielte an fast allen großen Berliner Bühnen wie bei den Salzburger Festspielen, arbeitete mit Regisseuren wie Heiner Müller, Robert Wilson, Christoph Schlingensief – „ein Star der deutschen Theaterszene“, so „Spiegel online“. Derart bühnengeschult, gehört sie zu einer Klasse von Fernsehdarstellern, denen es ein Leichtes ist, ihren Figuren Wahrhaftigkeit zu geben, auch in kleineren Rollen. Ihre Tiefenschärfe beim Schauspielern könnte aber nicht nur mit ihrem Theater-Background, sondern auch damit zu tun haben, dass sie eine genaue Beobachterin ist: Broich, die als Theaterfotografin zur Schauspielerei kam, ist nach wie vor eine leidenschaftliche, hervorragende Fotografin; auf ihrer Webseite kann man sich durch die Porträts von Schauspielerkollegen klicken, mit denen sie mehrere viel beachtete Ausstellungen bestückt hat.

Auf dem Fernsehschirm, der Kinoleinwand ist die Frau mit den widerspenstig aufspringenden Haaren und den hell leuchtenden Augen erst seit zwölf Jahren gehäuft präsent, oft mit kleineren, aber dennoch hervorstechenden Rollen, so etwa im „Vorleser“ mit Kate Winslet als angeklagte KZ-Aufseherin. „Ich war so eingespannt am Theater, manchmal hatte ich 26 Vorstellungen im Monat und vormittags Proben. Meine Kinder sind ja quasi hinterm Vorhang und unterm Schminktisch groß geworden“, kommentiert sie die Verschiebung des beruflichen Schwerpunkts.

Der Film „Aufbruch“ hat sie zu Tränen gerührt

Nun genieße sie es sehr, dass beim Drehen „Arbeit und Privates nicht mehr so miteinander verquickt“ seien. 2015 übernahm sie die viel beachtete Kommissarinnen-Rolle im Frankfurt-„Tatort“ – dennoch dürfte ihr Name immer noch nicht jedem „Tatort“-Zuschauer geläufig sein. Sie habe die Rolle als Ehre empfunden, sagt sie, fügt jedoch hinzu, „die saftigeren, skurrileren, spaßigeren Rollen“ seien meistens die anderen, „also die Mörder, die Psychopathen, die Durchgeknallten“. Der „Tatort“-Hype und dessen Ausmaße seien ihr erst später klar geworden. „Das Ganze hat zwei Seiten: Man kann damit zwar große Erfolge, aber auch desaströse Niederlagen erleben, eben dann, wenn eine Folge mal nicht so gut ankommt.“

Der Zufall wollte es, dass sie 2015 gerade dann zur meistbeachteten Krimireihe des deutschen Fernsehens kam, als Martin Wuttke, der mit Simone Thomalla sieben Jahre das Leipziger Duo bildete, aus ihr hinauskomplementiert wurde. Wuttke, ebenfalls ein Theatermann durch und durch, ist der Lebenspartner von Margarita Broich, Vater ihrer beiden Söhne; zusammen wohnen sie seit vielen Jahren in Berlin-Wilmersdorf in einem Altbau – in der WG-Wohnung, in der Broich als junge Frau mit dem viel älteren Dramatiker Heiner Müller lebte, mit dem sie einige Jahre lang liiert war.

Den WG-Charakter habe die Wohnung nie verloren, erzählt sie. „Wir sind ein salopper, flotter Haushalt, mit offenen Türen und viel Tohuwabohu. Aber wenn es um Schule und Lernen ging, bekam ich schon manchmal Anfälle von Spießigkeit. Mir war es wichtig, dass meine Kinder eine gute Ausbildung bekommen.“ Bildung sei schon „eine tolle Sache und würde der Welt sehr helfen“, formuliert sie salopp – ein Thema, das sie zurück zu „Aufbruch“ bringt: „Erzählt wird ja von einer jungen Frau, die unbedingt etwas lernen will. Das heißt, man hat nicht nur ein Recht auf Essen und Liebe, sondern auch auf Bücher.“ Es gehe aber noch um mehr: „Literatur und Poesie sind für das Mädchen ein Zufluchtsort, ein Lagerfeuer, Trost und Lebenshilfe.“ Das, so gesteht die charismatische 56-Jährige, habe sie, als sie den Film erstmals sah, „stellenweise zu Tränen gerührt“.