Stuttgarts Schauspielintendant Armin Petras kämpft mit sinkenden Zuschauerzahlen. Er engagiert nun „Tatort“-Schauspieler Felix Klare, weilt öfter in der Stadt und will dem Publikum die Kunst besser erklären. Im Interview sagt Armin Petras auch, was sein erfolgreicher Stuttgarter Opernkollege Jossi Wieler besser macht.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)
Herr Petras, wo erreiche ich Sie gerade?
In Leipzig. Ich bereite hier eine Produktion vor, die am 1. Oktober Premiere feiert.
Damit geben Sie Ihren Kritikern Nahrung, die finden, dass Sie zu oft auswärts arbeiten.
Es gibt über meine Auswärtsaktivitäten vertragliche Vereinbarungen. Ich mache zwei Inszenierungen in anderen Städten diese Saison. Darunter ist eine internationale Koproduktion, die wir in der kommenden Spielzeit bei uns zeigen werden. Mir ist aber bewusst, dass Präsenz in Stuttgart Vorrang hat.
Sie haben angesichts rückläufiger Besucherzahlen angekündigt, mehr Energie im Haus bündeln zu wollen. Gehört dazu, mehr Empfänge und Premierenfeien zu besuchen?

Es ist bei gesellschaftlichen Anlässen zuweilen wichtig, als Leiter eines Theaters dabei zu sein. Noch wichtiger ist es aber, dass ich jederzeit eingreifen kann, wenn es im Haus notwendig ist. Wir können die Betreuung der Produktionen noch verbessern. Da bin ich als Intendant gefragt.

 
Gibt es Produktionen, die Sie nicht hätten herausbringen dürfen?
Ich bin kein Freund von Verboten. Wir wollen weiterhin ein ästhetisch breites Spektrum zeigen, darunter sind auch Arbeiten, die an die Wurzel gehen und das Theater an sich befragen. Es ist immer so eine Sache mit der Beurteilung. Es gibt Premieren, die werden zum Beispiel regional ambivalent besprochen, kommen aber beim Publikum gut an wie beispielsweise Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Und umgekehrt.
Doch es gibt Zahlen. Sie belegen zum Beispiel einen Rückgang bei den Abonnenten, die zu besonders treuen Zuschauern zählen. Am Ende der vergangenen Spielzeit hatten Sie da ein Minus von 20 Prozent, nach den Neubuchungen zum Saisonstart sind es immer noch 16 Prozent weniger. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube fest an unsere Regisseure, an Kollegen wie Robert Borgmann, der unter anderem am Wiener Burgtheater arbeitet, oder an Christopher Rüping, der an den Münchner Kammerspielen als Hausregisseur engagiert ist. Arbeiten von ihnen, von Sebastian Hartmann oder Frank Castorf, dessen Inszenierung von Platonows „Tschewengur“ zu den Wiener Festwochen eingeladen wurde, sind ästhetische Herausforderungen, die es in den Jahren zuvor in Stuttgart nicht gab. Auch Katers „I’m searching for I:N:R:I“ zeigt mit seinen Einladungen zu den Autorentheatertagen Berlin und den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dass sich starke Regiehandschriften sehr wohl durchsetzen. Wir haben sicher daran zu arbeiten, die Ästhetik einiger Produktionen deutlicher zu vermitteln.
Wie?
Ich war zuletzt viel in Schulen unterwegs, habe mit Lehrern, Schülern gesprochen.
Was will die Jugend sehen? Texttreues Theater, am besten in der Originalsprache?
Das stimmt schon. Ich finde diesen Hang zum Konservativen gerade bei jungen Leuten erstaunlich. Man findet das aber auch beim älteren Publikum. Ich habe einmal am Residenztheater München nach einer Generalprobe einen Herrn gehört, der zu seiner Frau sagte: „Da ist ja nichts mehr von Shakespeare übrig – außer der Text.“
Zu wenig historische Kostüme, zu viel Geschrei – da hilft auch keine Texttreue.
Vielleicht. Es ist eben so, dass man als Zuschauer Sehgewohnheiten hat, die man gespiegelt haben will. Egal ob diese Gewohnheiten durch die Vergangenheit oder das heutige Entertainment geprägt sind. Ich bin der Ansicht, dass wir uns um eine bessere Lesbarkeit bemühen müssen. Es nützt nichts, wenn wir unsere Arbeit interessant finden, aber beim Publikum wenig davon ankommt.
Jossi Wieler konnte in der vergangenen Spielzeit 14000 Zuschauer mehr gewinnen, Sie haben 15000 verloren. Sind die dorthin gewandert? Was macht Ihr Opernkollege besser?
Man darf bei den Zahlen nicht vergessen, dass wir das große Haus wegen der Nachsanierung einen Monat früher schließen mussten als sonst und dass uns allein dadurch etliche Besucher für die Statistik fehlen. Abgesehen davon macht Jossi Wielersehr Vieles richtig. Er hat tolle Sänger und Musiker. Er und sein Dramaturg Sergio Morabito sind wichtige Stimmen in dieser Stadt. Und egal, welche Handschrift eine Regiearbeit trägt, sie achten darauf, dass sie von hoher Qualität ist.