Annette Schavan geht, Johanna Wanka kommt. Die Neue im Kabinett gilt als zielstrebig, entscheidungsfreudig und kommunikativ. Es spricht einiges dafür, dass sie fachlich bestens für das Amt als Bildungsministerin geeignet ist.

Berlin - Aufhören mit der Politik? Sich in den Ruhestand zurückziehen? Das kommt für Johanna Wanka nicht in Frage. Die Niederlage der CDU bei der niedersächsischen Landtagswahl am 20. Januar war für sie deshalb ein Ärgernis. Sie suchte anschließend nach einer neuen Aufgabe – vielleicht fern der Politik? Wohl nicht, denn nun kommt überraschend das Angebot für die 61-Jährige, Bundesbildungsministerin und Nachfolgerin von Annette Schavan zu werden. Fachlich ist sie dafür wohl bestens geeignet. Denn Wanka, die Anfang der neunziger Jahre Mathematikprofessorin im sachsen-anhaltinischen Merseburg wurde, als Hochschulrektorin arbeitete und dann Ministerin in Brandenburg wie auch in Niedersachsen war, genießt in Wissenschafts- kreisen eine hohe Autorität. Außerdem beherrscht sie das politische Geschäft. Das charmante, offenherzige Auftreten paart sich mit Zähigkeit und Durchsetzungskraft in Verhandlungen. Wanka hat Mathematik studiert, sie kann mit Zahlen umgehen und versteht etwas von Haushaltsplänen – ein großer Vorteil in  Etatgesprächen mit dem Finanzminister.

 

Auch ihre Integrationskraft hat sie bewiesen. 2008 übernahm sie die Führung des völlig zerrütteten CDU-Landesverbandes Brandenburg. Die Professorin überstand die Aufgabe ohne Blessuren, war sogar als Vorsitzende von den Flügeln akzeptiert – bis nach der Wahlniederlage in Potsdam der Wechsel nach Niedersachsen kam. Wanka ist bisher die einzige Ostdeutsche, die in einem westdeutschen Kabinett tätig war. Christian Wulff hatte sie im März 2010 nach Hannover geholt. Es wurde für die CDU ein Glücksgriff. Einen Zukunftsvertrag mit den Hochschulen, der diesen dauerhaft hohe Zuschüsse garantiert, leitete sie ebenso in die Wege wie viele Investitionen in den Kulturbetrieb. Auf Bundesebene wurde ihre Erfahrung geschätzt. Noch nach der Niederlage von Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl vor wenigen Wochen war sie weiter aktiv, führte Gespräche im Kreis der CDU-geführten Bildungsressorts der Länder über die Frage, wie der Bund künftig bei der Bildungsfinanzierung stärker eingebunden werden kann. Oder bereitete letzte Personalentscheidungen vor, etwa die Leitung der „Offenen Hochschule“, die demnächst besetzt wird. Einfach die Hände in den Schoß legen – das will sie nicht.

Naturwissenschaftlerin wie ihr Mann

Mit Angela Merkel hat Johanna Wanka manches gemein: Beide sind in der DDR aufgewachsen und geprägt worden, schlugen eine naturwissenschaftliche Laufbahn ein. Wie Merkel ist auch Wanka mit einem Naturwissenschaftler verheiratet: Gert Wanka ist Professor für Mathematik in Chemnitz. Als die CDU Anfang Januar die heiße Phase des Landtagswahlkampfs einläutete, hatte Merkel in ihrer Rede für zwei niedersächsische CDU-Politiker lobende Worte übrig – für McAllister, den herausgehobenen Spitzenkandidaten der Partei, und für Wanka. Waren das schon Vorboten für den Aufstieg?

Die Politikerin kann als eine der wenigen Ostdeutschen, die in der CDU Rang und Namen haben, auf eine vorbildlich Biografie verweisen. Der Blockpartei CDU hatte sie nie angehört, sie war in der DDR parteilos geblieben. Auf einem Bauernhof nahe Torgau in Sachsen ist sie groß geworden. Der Weg zum Abitur war ihr erst versperrt, nur wenige Kinder aus SED-treuem Elternhaus wurden dafür zugelassen. Ihre Mutter, eine resolute Frau, protestierte – bis hinauf zum DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck. Es nützte erst nichts. Dann aber war ein örtlicher Parteisekretär der Familie zu einer Gegenleistung verpflichtet – und es klappte doch noch. Johanna Wanka musste nur vorher der FDJ beitreten, ein Schritt, der sie große Überwindung kostete. Nach dem Abitur schlug sie zunächst den Beruf der Agrotechnikerin ein, sattelte dann aber auf Mathematik um, weil ihr logisches Denken leichtfiel.

Nicht angepasst zu DDR-Zeiten

Der Weg führte sie zur Hochschule in Merseburg. Ihr Mann und sie konnten als Nicht-SED-Mitglieder in der DDR keine Professoren werden. Als Assistenten wirkten sie an der Hochschule, doch die Wankas galten nicht als stromlinienförmig. Als sie Mitte der achtziger Jahre Kritik am DDR-Wehrkunde-Unterricht anklingen ließen, kam ein Disziplinarverfahren. Das endete mit einem Verweis, und danach wurden die Wankas in Merseburg fast wie Aussätzige behandelt. „Ich erlebte dann, wie einige SED-Funktionäre, von denen wir es nie erwartet hatten, doch zu uns standen. Seither halte ich von schlichten Schwarz-Weiß-Malereien nichts“, sagt sie.

Der SED-Staat verlangte Wanka viele Anpassungen ab. Ihren beiden Kindern musste sie ein Schweigegelübde für die Schule auferlegen. Dass ihr Sohn nicht zur Volksarmee wollte, hätte ihm fast seine berufliche Zukunft verbaut. Der Mann ihrer besten Freundin, selbst Wissenschaftler, wurde von der Stasi unter Druck gesetzt und in den Wahnsinn getrieben. Er verschwand plötzlich von der Bildfläche, bis seine Frau eines Tages die Nachricht bekam, er sei von einer Autobahnbrücke gesprungen. Die Witwe hat bis heute nicht die Kraft gefunden, Einsicht in die Stasiakten zu nehmen und den Fall aufzuhellen. Damals bekam es Wanka mit der Angst zu tun.

Die neue Freiheit ist der tiefere Impuls ihrer Arbeit

Leute in ihrem Umfeld meinen, der eigentliche Antrieb für ihre Arbeit komme aus der Wendezeit – damals entdeckte sie für sich die Chance, gestalten zu können – frei von Angst, frei von äußerem Druck – erst an der Hochschule, dann in der Politik. Diese Aufbruchstimmung spürt man bei ihr heute noch. Wanka, die morgens um fünf Uhr aufsteht, braucht Aufgaben und Ziele, freut sich über Herausforderungen. Was hätte sie schon alles werden können: Wissenschaftsministerin im rot-grünen, von der PDS tolerierten Sachsen-Anhalt 1994 etwa. Der damalige Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) fragte die damals noch parteilose Wanka, doch sie lehnte ab. Auch in Hamburg, zu schwarz-grünen Zeiten, hätte sie ein Amt annehmen können. Damals war die Aufgabe in Brandenburg näher dran. Nun kommt, als Höhepunkt der Laufbahn, das Bundeskabinett.

Bis heute ist sie in ihrer Heimat, dem 120-Einwohner-Nest Rosenfeld in Sachsen, verwurzelt, in dem ihre Mutter noch wohnt. Als in Brandenburg nach dem Ende der Großen Koalition Matthias Platzeck negativ über die CDU und Wanka redete, wollte das Dorf einen Beschwerdebrief schreiben. So weit kam es nicht, „aber die Geste ist rührend“, sagt Wanka.