Wer die Silberhochzeit hinter sich hat, ist noch lange nicht durch. Immer öfter werden in Baden-Württemberg Ehen mehr als 30 Jahre nach der Heirat geschieden.

Stuttgart - Ein Pärchen hat nicht einmal den ersten Hochzeitstag geschafft. Doch die meisten der knapp 20 000 Ehen, die im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg geschieden wurden, landeten laut dem Statistischen Landesamt im berühmt-berüchtigten siebten Jahr vor dem Familienrichter (989). Die Scheidungspaare waren durchschnittlich 15 Jahre lang verheiratet gewesen. Aber auch wenn man die Silberhochzeit bereits hinter sich hat, sollte man sich nicht nur auf den vergilbten Trauschein verlassen. Immer mehr Ehen zerbrechen nach mehr als mehr als 30 Jahren.

 

1985 wurden 387 Mal nach 31 Ehejahren die Scheidungspapiere ausgestellt. 1995 lag diese Zahl schon bei 853, also mehr als doppelt so hoch, und vor zehn Jahren war sie auf 1230 gestiegen. Im vergangenen Jahr endeten dann sogar 1378 Ehen nach 31 gemeinsamen Jahren vor dem Richter, das sind knapp sieben Prozent. Und immerhin 377 Paare haben es 40 Jahre miteinander ausgehalten, bevor sie ihren Bund lösten. Zehn Eheleute ließen ihre goldene Hochzeit platzen und trennten sich im 50. Jahr nach der Trauung. Das älteste Bündnis ging 2015 nach 62 Ehejahren noch in die Brüche. Der Anstieg ist beachtlich, auch wenn man berücksichtigt, dass es eben wegen der immer höheren Lebenserwartung immer mehr Paare gibt, die nach der goldenen auch noch die diamantene Hochzeit feiern.

Ältere Frauen wollen noch was haben vom Leben

Bei lange Verheirateten seien es praktisch immer die Frauen, die ihren Rat suchten, sagt die Mannheimer Familienanwältin Barbara Cudina. „Diese Frauen wollen noch etwas machen aus ihrem Leben, die haben schlicht keine Lust mehr.“ Sie beklagten sich über ihre Männer, die nur noch bei den Taubenzüchtern oder vor dem Fernseher hockten. „Männer sind träger, Frauen sind aktiver“, das ist jedenfalls Cudinas Beobachtung.

Über Arbeitsmangel kann die Familienanwältin, die seit 25 Jahren im Beruf ist, wohl nicht klagen. Der Stadtkreis Mannheim hat die höchste Scheidungsrate im ganzen Land. Im Durchschnitt kamen dort auf 10 000 Ehepaare 107 Scheidungen. Eine Erklärung dafür hat Cudina nicht, aber eine Vermutung: „Wir sind eine Industriestadt, in der viele Frauen arbeiten.“ Die zunehmende Berufstätigkeit habe Frauen immer selbstständiger und mutiger gemacht. Landesweit betrachtet, ergreifen denn auch meist eher die Frauen die Initiative, ihre Ehe aufzulösen. Gut 51 Prozent der Scheidungen haben Frauen eingereicht, nur in 42 Prozent der Fälle wandte sich der Mann an das Familiengericht.

Familiensoziologen zufolge werden Ehen, in denen beide Partner berufstätig sind, öfter geschieden als Bündnisse, in denen das alte Rollenbild gelebt wird. Außerdem haben kinderlose Paare verschiedener Nationalitäten, die kein Wohneigentum besitzen, konfessionslos oder protestantisch sind, in einem Stadtkreis leben und bei denen die Frau besser gebildet ist und womöglich mehr verdient als ihr Gatte, geringere Chancen auf einen echten Bund fürs Leben.

Aber die Welt der familiensoziologischen Indikatoren befindet sich im Wandel. „Früher war die Scheidungsrate in den Stadtkreisen eindeutig höher als in den Landkreisen“, sagt Werner Brachat-Schwarz, der Leiter des zuständigen Referats im Statistischen Landesamt. „Heute geht es munter durcheinander im Ranking.“ Manches passe, „aber man wird auch das Gegenteil dazu finden.“

Mannheim liegt vorn, der Main-Tauber-Kreis hinten

Der Stadtkreis Mannheim etwa hat mit 22,1 Prozent den dritthöchsten Migrantenanteil im Land, was die Wahrscheinlichkeit für Ehen zwischen Partnern unterschiedlicher Nationalität erhöht. Landesweit beträgt der Ausländeranteil 13,5 Prozent. Außerdem hat Mannheim den zweithöchsten Anteil an Konfessionslosen und den zweitniedrigsten Wert an Haushalten mit selbst genutztem Wohneigentum.

Die folgende Karte zeigt die Scheidungsziffer nach Landkreisen - also die Zahl der Ehen, die zwischen 2012 und 2015 im Schnitt pro Jahr geschieden wurden. Grün bedeutet wenige Scheidungen, rot bedeutet viele Scheidungen.

Im Main-Tauber-Kreis hingegen, der in der aktuellen Scheidungsstatistik auf dem letzten Platz landet, kennt man wahrscheinlich praktisch jeden Einwohner mit Migrationshintergrund persönlich. Von den 131 240 Einwohnern haben nur 8833 keinen deutschen Pass (6,7 Prozent). Dort haben Werner Brachat-Schwarz zufolge außerdem überdurchschnittliche viele Menschen ihr eigenes Häuschen. Und Nirgendwo sonst im Land gibt es so wenige Konfessionslose wie dort. Auf 10 000 Ehepaare kamen dort im Durchschnitt nur 72 Scheidungen.

Ein eindeutiges Stadt-Land-Gefälle gibt es nicht mehr

Andererseits nimmt im aktuellen Ranking der Scheidungsstatistik der ländlich geprägte Kreis Emmendingen den dritten Platz hinter den Stadtkreisen Mannheim und Pforzheim ein. Außerdem „lag in immerhin fünf der neun Stadtkreise im Land – in Heilbronn, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe und Stuttgart – die Scheidungsziffer unterhalb des Landesdurchschnitts“, erklärt Bracht-Schwarz. Ein eindeutiges Stadt-Land-Gefälle gebe es nicht mehr.

Auch Kinder sind kein Garant für eine glückliche Ehe. Fast 16 000 Buben und Mädchen waren im vergangen Jahr von einer Scheidung betroffen, das waren 466 weniger als im Jahr zuvor. Auch die Zahl der Scheidungen insgesamt ist um zwei Prozent zurückgegangen. Im Vergleich zum Jahr 2004, als mit 25 129 Scheidungen der bisherige baden-württembergische Höchststand erreicht wurde, beträgt der Rückgang sogar ein Fünftel. Allerdings: Gegenüber dem Jahr 1990 hat die Zahl der Scheidungen im vergangenen Jahr um 20 Prozent zugenommen.