Wegen Corona findet die Tagung der Schelling-Gesellschaft am Freitag digital statt. Thema ist dabei auch das Kepler-Jubiläum.

Leonberg - Einmal jährlich veranstaltet die Schelling-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum ihre Jahrestagung in Leonberg. Wegen der Corona-Beschränkungen findet das Treffen nun an diesem Freitag, 22. Januar, in digitaler Form statt. Den Link zur digitalen Veranstaltung auf www.leonberg.de/schellingtagung

 

Der Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn wird die Online-Veranstaltung um 19 Uhr per Videogruß eröffnen. Im Anschluss sind zwei Vorträge von Matthias Bartelmann von der Universität Heidelberg und Paul Ziche von der Universität Utrecht vorgesehen.

Kepler, sein Genie und die Wissenschaft

Die beiden Professoren stellen eine besondere Beziehung in den Mittelpunkt. Denn 2021 wird auch der 450. Geburtstag von Johannes Kepler gefeiert. Deshalb lauten die Titel der Vorträge auch „Kepler als Physiker vor der Physik“ und „Kepler als Genie – Schelling und ein neuer Begriff von Wissenschaft“.

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In Leonberg kreuzen sich, mit einigem historischem Abstand, die Biografien von Johannes Kepler und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Kepler wurde 1571 in Weil der Stadt geboren, wohnte dann mit seiner Familie in Leonberg. Er besuchte hier die Lateinschule (heutiges Stadtmuseum), er hat sich immer wieder als „Kepler Leomontanus“ bezeichnet. Schelling wurde 1775 in Leonberg geboren und verbrachte hier seine Kindheit. Sein Geburtshaus steht in Sichtweite zur Stadtkirche und zum Stadtmuseum. Zum Jubiläum von Keplers 450. Geburtstag werden während der Vortrags- und Diskussionsveranstaltung Fragen thematisiert, die das ganz besondere Profil Keplers als Wissenschaftler und Autor betreffen, und die von Schelling wiederum in aufschlussreicher Weise thematisiert wurden.

Kepler präsentiert seine Erkenntnisse romanhaft

Heute wird Kepler wegen seiner Leistungen in der Astronomie, der Optik und der Mathematik ganz selbstverständlich zu den größten Naturwissenschaftlern aller Zeiten gezählt. Historisch betrachtet ist diese Einschätzung jedoch alles andere als selbstverständlich. Das moderne Konzept von „Naturwissenschaft“ bestand zu Keplers Zeit noch nicht. Seine Texte lesen sich ganz anders als Texte der modernen Naturwissenschaft, er präsentiert seine Entdeckungen, aber auch seine Irrwege auf beinahe romanhafte Weise. Er verbindet mühelos unterschiedliche Fachgebiete wie etwa Astronomie und Musik, vollendet beherrschte Mathematik steht neben der Anrufung der Harmonie des Universums.

„Wir möchten zeigen, dass der Weg von Keplers Arbeiten hin zum modernen Bild von Wissenschaft nicht einfach ein Prozess der Reinigung der ‚echten‘ Wissenschaft von allerlei zufälligen Nebenerscheinungen ist“, heißt es von Seiten der Organisatoren der Schelling-Gesellschaft. Ein Beispiel aus der Naturwissenschaft: Kepler operationalisiert den für ihn so wichtigen Begriff der Harmonie in sehr präziser Weise, beispielsweise indem er Symmetrieprinzipien eine zentrale Rolle in seiner Physik gibt. Der Symmetriebegriff ist ein Schlüsselbegriff der modernen mathematischen Physik – Johannes Kepler ist einer der entscheidenden Entdecker der Bedeutung dieses Begriffs.

Der Prozess des Entdeckens wird wichtiger als das Resultat

Ein Beispiel aus der Philosophie und Wissenschaftstheorie: Kepler beschreibt das Ringen um seine Entdeckungen sehr eindrücklich. Er möchte Wissenschaft nicht als Auflistung oder geradlinige Ableitung von Resultaten präsentieren, sondern als einen Kampf um Einsicht. Hierzu passt, dass Kepler für Schelling das Idealbild für ein Genie ist – Schelling ist wiederum der erste, der diesen Begriff, mit Kepler als wichtigstem Beispiel, für die Naturwissenschaft reklamiert. Der Prozess des Entdeckens wird hier wichtiger als das Resultat, die Prinzipien der Wissenschaft liegen tiefer, als eine formale Logik rekonstruieren kann.

Die beiden Referate versprechen also andere Perspektiven auf Johannes Kepler und sein Schaffen, und das digitale Format bietet die Möglichkeit, auch ein neues Publikum zu erreichen. Matthias Bartelmann ist Professor für theoretische Physik und Astrophysik an der Universität Heidelberg. Paul Ziche ist Professor für Philosophiegeschichte und Wissenschaftsgeschichte an der Uni in Utrecht. Im Anschluss an die beiden Vorträge ist Gelegenheit zur Diskussion.