Vereinbarungen zum Schutz von Investitionen gibt es seit Jahrzehnten. Auch für den Mittelstand spielen Schiedsgerichte eine Rolle. Der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich fordert neue Standards für TTIP.

Berlin - Das Misstrauen ist groß. Die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA bewegen die Gemüter. Die Kritiker argumentieren, die mächtigen Konzerne nutzten Investitionsschutzabkommen als Vehikel, um Regierungen ihre Interessen aufzuzwingen. Heiß diskutiert wird über die Schiedsgerichte, die meist im Verborgenen Streit zwischen Unternehmen und Staaten schlichten. Wie groß das Interesse der Bürger ist, zeigt das Konsultationsverfahren der EU-Kommission zum Investitionsschutz. Mittlerweile sind 150 000 Eingaben in Brüssel gemacht worden, teilte die deutsche EU-Vertretung in Berlin mit. Dabei handelt es sich nicht um eine Art Referendum. Die EU-Kommission sammelt Ideen, um den Investitionsschutz im europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP neu zu gestalten. Ein Überblick über die bisherigen Erfahrungen.

 

Was bedeutet Investitionschutz?

Im Jahr 1959 wurde das erste Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und Pakistan geschlossen. Mittlerweile hat allein Deutschland 131 bilaterale Investitionsschutzabkommen unterzeichnet. Alle EU-Staaten kommen auf 1400 solcher Verträge. Weltweit bestehen sogar 3400 Abkommen. Am Anfang ging es in erster Linie darum, Unternehmen abzusichern, die in Entwicklungs- und Schwellenländer investierten. „Die Abkommen zum Investitionsschutz schützen beispielsweise vor ungerechtfertigter Enteignung und Diskriminierung“, sagt Volker Treier, Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Die Vereinbarungen dienen auch dazu, ausländischen Unternehmen einen ungehinderten Marktzugang zu garantieren. Das erklärt, warum der Investitionsschutz auch zwischen Industrieländern festgeschrieben wird. In den vergangenen Jahren riefen zum Beispiel US-Politiker Bürger auf, amerikanische Produkte zu kaufen. Für die deutsche Exportwirtschaft seien Abkommen zum Schutz der Investitionen elementar, sagt DIHK-Experte Treier.

Wozu sind Schiedsgerichte da?

Schiedsgerichte kamen in den achtziger Jahren auf, als die Schuldenkrise in Lateinamerika ausbrach und ausländische Unternehmen enteignet wurden. Sie geben Unternehmen die Möglichkeit, Ansprüche gegenüber den Behörden des Gastlandes vor einem internationalen Gericht geltend zu machen. Schiedsgerichte sind bei der Weltbank, den Vereinten Nationen oder internationalen Handelskammern angesiedelt. Die Verfahren sind nicht öffentlich, was ihnen den Vorwurf einer Geheimjustiz einträgt. Klagen können immer nur Unternehmen gegen Staaten. Möglich ist das, wenn Schlüsselgarantien beim Investitionsschutz verletzt werden. Dazu zählen der Schutz vor Diskriminierung und das Verbot von Enteignungen, die nicht dem Gemeinwohl dienen. Nach Auskunft des DIHK ist in den meisten Investitionsschutzabkommen der vergangenen Jahrzehnte die Anrufung von Schiedsgerichten vorgesehen. Dieses Klagerecht soll auch in den Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) verankert werden. Die EU-Kommission und auch die deutschen Wirtschaftsverbände wollen die Schiedsgerichtsverfahren modernisieren. Im Entwurf des Abkommens der EU mit Kanadas ist vorgesehen, dass Dokumente zu einer Auseinandersetzung vor Schiedsgerichten veröffentlich werden und die Auswahl der Schiedsrichter nach klaren Kriterien erfolgt. Es soll künftig auch Berufungsinstanzen geben.

Wie sind die Erfahrungen?

Kritiker wenden ein, dass Schiedsgerichte von Konzernen instrumentalisiert werden, um ihren Einfluss geltend zu machen. Als Beispiel wird der Energiekonzern Vattenfall angeführt, der den deutschen Staat wegen des Atomausstiegs auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt hat. Vattenfall musste seine Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel abschalten. Die Außenwirtschaftsexpertin des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Stormy-Annika Mildner, sieht im bestehenden Recht Grenzen für Klagen vor Schiedsgerichten. „Mit Schiedsgerichtsverfahren kann ein Staat nicht gezwungen werden, Gesetze zurückzunehmen“, sagt sie. Es ist auch nicht möglich, dass ein Konzern einen Staat verklagt, weil sein Gewinn aufgrund eines Verbrauchergesetzes zurückgegangen ist. Vor Schiedsgerichten werden nur Verstöße gegen Prinzipien des Investitionsschutzes verhandelt. In der Praxis versuchten die Konzerne aber, über Umwege ihr Ziel zu erreichen. Experten vermuten, dass der schwedische Vattenfall-Konzern beim deutschen Atomausstieg argumentieren könnte, die eigenen Atomkraftwerke hätten früher vom Netz gehen müssen als die Meiler der Konkurrenz. Dies stelle eine Ungleichbehandlung dar. Ob solche Klagen Aussicht auf Erfolg haben, steht auf einem anderen Blatt.

Was muss sich ändern?

Politik und Verbände sind sich einig, dass Schiedsgerichtsverfahren reformiert werden müssen. „In der Vergangenheit hat es einzelne Auswüchse gegeben“, sagt der DIHK-Manager Treier. So kam es vor, dass große Konzerne über ihre weltweite Präsenz Klagen nach dem Recht einreichten, das für sie am günstigsten war. Der US-Tabakkonzern Philip Morris verklagte Uruguay, weil das Land große Warnhinweise auf Zigarettenschachteln anordnete. Der US-Konzern bezog sich bei seiner Klage auf das Investitionsschutzabkommen zwischen Uruguay und der Schweiz. Philip Morris soll bei anderen Klagen auch schon den Umweg über Hongkong gewählt haben. Das nährt den Verdacht, dass sich die Konzerne die Bedingungen herauspicken.

Wie oft wird geklagt?

Nach einer Aufstellung der Europäischen Union hat es bisher 514 Klagen vor Schiedsgerichten gegeben. Die meisten Klagen kamen von Unternehmen aus der EU: Auf sie entfallen 26 Prozent der Beschwerden. 24 Prozent der Klagen kamen von US-amerikanischen Unternehmen. In den vergangenen Jahren seien die Klagen von Investoren aus Europa stark angestiegen, erklärt die EU-Kommission. Die deutsche Wirtschaft will an Schiedsgerichten festhalten. „Schiedsgerichtsverfahren sind auch für Mittelständler wichtig, die mit einem langen und teuren Klageweg überfordert sind“, sagt die BDI-Handelsexpertin Mildner. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht das ähnlich. Es sind nicht nur Großkonzerne, die klagen. Rund 20 Prozent der Klagen reichen Mittelständler ein. Es gibt vor Schiedsgerichten auch ungewöhnliche Konstellationen. So klagt eine Beteiligungsgesellschaft des Landes Baden-Württemberg vor einem Schiedsgericht gegen den französischen Staatskonzern EdF wegen des Verkaufs der Aktien des Energiekonzerns EnBW. Die Landestochter will den Kaufpreis mindern. Das Geschäft hatte der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) eingefädelt. Beide Seiten vereinbarten damals, Streitigkeiten vor einem Schiedsgericht auszutragen. Das zeigt die Bandbreite.

Was sind die Lehren für TTIP?

Der baden-württembergische Europaminister Peter Friedrich (SPD) kritisiert die Paralleljustiz von Schiedsgerichten. „Das Kernproblem ist: Es gibt keinen vernünftigen Standard.“ Friedrich hält es aber für falsch, das TTIP-Abkommen an der Frage der Schiedsgerichtsbarkeit scheitern zu lassen. „Unser Ziel muss sein, über das TTIP-Abkommen rechtsstaatliche Standards für Schiedsgerichte zu etablieren.“