Die Deutsche Bahn gibt zu wenig Geld für die Instandhaltung von Eisenbahnbrücken aus, jede vierte ist mittlerweile marode. Der Konzern räumt das zwar ein, will aber mehr Mittel vom Bund.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Es sind brisante Unterlagen, die Zündstoff bergen und in Regierungskreisen einige Aufregung bereiten. Kurz vor der nächsten Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn (DB) in der kommenden Woche wird erstmals öffentlich deutlich, wie marode das deutsche Schienennetz wirklich ist.

 

Das Ergebnis einer Sonderprüfung des Eisenbahnbundesamts (EBA) spricht für sich. Jede vierte von 257 untersuchten Bahnbrücken wies demnach Mängel aus, die ihre Stand-, Betriebs- oder Verkehrssicherheit unmittelbar gefährden. In 47 Fällen erteilte die Aufsichtsbehörde der DB sogar Auflagen und verlangte Sanierungsmaßnahmen. Das geht aus dem Schriftverkehr zwischen EBA-Präsident Gerald Hörster und Verkehrsminister Peter Ramsauer vor, der dieser Zeitung vorliegt.

Die Ergebnisse zeigten, dass „die Eisenbahnaufsicht durch das EBA unverzichtbar ist“, mahnt Hörster das Ministerium. Und mit Blick auf seinen – von Ramsauer bisher unerfüllten – Wunsch nach mehr Prüfern ergänzt der EBA-Chef, die Behörde werde die Kontrolle der Bahn „trotz äußerst angespannter Personalsituation sicherstellen“. Bei 55 Brücken bestätigte die zuständige DB Netz AG Ende Oktober in einer Stellungnahme an die Regierung ausdrücklich die Mängel. Der Konzern betont aber, dass in 15 Fällen die schon im Jahr 2010 vom EBA festgestellten Mängel inzwischen behoben seien und bei 19 Brücken „noch in 2012“ modernisiert würden. In keinem Fall habe es eine akute Gefährdung gegeben.

Staatssekretär räumt ein, dass bessere Kontrollen nötig sind

Die Unterlagen liegen inzwischen auch dem Verkehrs-, Haushalts- und Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags sowie dem Bundesrechnungshof vor. Aus gutem Grund: jedes Jahr erhält die DB allein für den Erhalt des Schienennetzes 2,5 Milliarden Euro aus der Steuerkasse und soll aus eigenen Mitteln weitere 500 Millionen für den Ersatzbedarf investieren. Zudem schreibt die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mit dem Bund vor, dass der Staatskonzern mindestens eine Milliarde Euro in die laufende Instandhaltung, also Reparaturen und Wartung, steckt, und zwar ebenfalls aus der eigenen Kasse. Das Problem: der Bund überwacht lediglich die Investitionssummen und den Zustand des Netzes mit Berichten, die zudem der Konzern selbst jährlich liefert. Wo und wann die DB investiert, ist im Prinzip deren unternehmerische Entscheidung.

Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) räumt ein, dass bessere Kontrollen nötig sind. Denn nach einer Auswertung des Ministeriums hat die DB von 2009 bis 2011 zusammen gerade mal 111 Millionen Euro in die Instandhaltung ihrer bundesweit fast 25 000 Brücken gesteckt und eine Milliarde Euro in die Modernisierung. Viel zu wenig, wie Ferlemann offen zugibt.

Schon 2001 ermittelten Bundesregierung und EBA, dass allein für die Bahnbrücken mindestens 251 Millionen Euro für Wartung und Reparaturen nötig sind, und zwar pro Jahr. Das wären wenigstens 753 Millionen Euro in drei Jahren, also sieben Mal mehr, als die DB von 2009 bis 2011 tatsächlich investiert hat. An Ersatzinvestitionen wären demnach weitere knapp 1,5 Milliarden Euro nötig gewesen, rund 50 Prozent mehr als tatsächlich realisiert.

Ministerium will Investitionssummen festlegen

Die Vernachlässigung des Bahnnetzes kritisieren Experten schon lange, ohne dass die Regierung bisher durchgriff. So wies der Bundesrechnungshof in eigenen Studien mehrfach darauf hin, dass die staatliche Überwachung des Netzzustands unzureichend sei , die Bahn zu wenig investiere und es bei der Umsetzung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung an Effizienz fehle. Auch die Opposition von Grünen und Linken im Bundestag sieht darin schon lange einen Missstand. Die Regierung will nun nachbessern. Bei der nächsten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für 2014 bis 2018 will das Ministerium Teilbudgets für Brücken und Tunnel festlegen, also Mindestsummen, die künftig von der DB investiert werden müssen. Falls der Konzern die Vorgaben nicht erfüllt, solle es Strafzahlungen geben, schreibt Ferlemann an den Bundestag.

Das sind ungewöhnlich deutliche Worte, denn bisher ging die schwarz-gelbe Koalition in Berlin sehr nachsichtig mit Bahn-Chef Rüdiger Grube um. Doch in den milliardenschweren Verhandlungen um die nächste Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung hat der Staatskonzern offenbar zu hoch gepokert. Die DB habe „horrende Forderungen“ präsentiert, heißt es in Koalitionskreisen. Das belegt ein höchst brisantes Gutachten der Beratungsfirma Interfleet für das Haus Ramsauer, das dieser Zeitung ebenfalls vorliegt. Das Ministerium hat die Berater beauftragt, die Daten, Rechnungen und Milliardenforderungen der DB zu prüfen. Das Ergebnis ist für den Konzern alles andere als erfreulich.

Bundesregierung lehnt Nachschlag ab

Die 59-seitige Expertise dokumentiert im Detail die harten und bisher geheimen Verhandlungen seit Frühjahr, in denen der Staatskonzern bei fast zwei Dutzend Sitzungen atemberaubende Zahlen präsentierte und seine Daten „zum Teil mehrfach“ korrigierte, wie die Gutachter süffisant vermerken. So errechneten die DB-Manager zunächst einen aufgestauten Nachholbedarf bei der Infrastruktur von sagenhaften 40 Milliarden Euro.

Davon entfallen allein 14 Milliarden auf Brücken, 3,9 Milliarden auf Tunnel, 3,7 Milliarden auf Stellwerke, 2,7 Milliarden auf Gleise und 1,77 Milliarden auf Bahnsteige. Erstmals gibt die Bahn selbst zu, wie sehr das Netz jahrelang vernachlässigt wurde. Fast vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich wären demnach in den nächsten zehn Jahren nötig, um den aufgestauten Nachholbedarf zu decken, so die Bahn.

Nach den Prüfungen durch Interfleet korrigierte die DB ihre Rechnung schließlich von 40 Milliarden Euro auf 29 Milliarden Euro. Das wären 2,9 Milliarden extra. Die Berater der Bundesregierung jedoch lehnen einen Extrazuschlag komplett und konsequent ab.