Die Auslieferung dringend benötigter ICEs verzögert sich erneut um mindestens zwei Monate. Im Winter drohen nun wegen fehlender Reservezüge erneut Ausfälle.

Berlin - Die Deutsche Bahn (DB) ist auf ihren Großlieferanten Siemens zunehmend sauer. „Unsere Kunden fühlen sich von Siemens im Stich gelassen“, kritisierte Fernverkehr-Vorstand Berthold Huber gegenüber Journalisten in Berlin. Hintergrund für die Attacke war das überraschende Eingeständnis von Siemens, nun doch nicht, wie noch im September versprochen, in den nächsten Tagen acht neue ICE-Züge vom Typ Velaro D an die Bahn zu liefern. Es ist das zweite Mal, dass der Termin nicht eingehalten werden kann. Einen neuen gibt es nicht. „Wir können es gar nicht einschätzen“, bedauerte ein Siemens-Sprecher zerknirscht. Man werde die Züge „sukzessive“ an die DB liefern und „in nächster Zeit“ ein neues Auslieferdatum nennen.

 

DB-Technikvorstand Volker Kefer kalkuliert mit mindestens zwei Monaten Verzögerung. Siemens müsse eine mangelhafte Software für die Zugsteuerung überarbeiten und das gehe nicht in Tagen oder Wochen. Insgesamt 16 neue ICEs sollten bereits seit einem Jahr fahren. „Man muss sich vor Augen führen, dass die Züge bereits im Dezember 2008 bestellt waren“, stellte Huber klar. Die Konsequenzen für heimische Bahnkunden, aber auch internationale Expansionspläne der DB könnten gravierend sein.

Die Bahn hatte fest damit gerechnet, in diesem Winter das neue Gerät in der Hinterhand zu haben, falls bei extremer Witterung fahrplanmäßig verkehrende Züge ausfallen. „Da setze ich auf das Wort von Siemens-Chef Peter Löscher“, hatte DB-Chef Rüdiger Grube noch im Oktober gesagt. Dieser hatte sich zuvor persönlich zur Einhaltung des Liefertermins zum DB-Fahrplanwechsel am 9. Dezember bekannt. Jetzt steht Löscher im Regen. Die Siemens-Zugsparte macht für das neue Zurückrudern nicht näher erklärte Probleme mit der Zugsteuerung verantwortlich, die soeben bei der Übernahmeprüfung der Bahn entdeckt worden seien. Ob diese Mängel in die Verantwortung von Siemens selbst oder eines Zulieferers fallen, lassen die Münchner offen.

Ausbau des internationalen Fernverkehrs verzögert sich

Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass die technische Komplexität unterschätzt wurde. Immerhin sei die Zugsteuerung das Herz eines ICE. Verwiesen wird auch darauf, dass neue ICE-Züge im Ausland bereits zuverlässig unterwegs sind. Wenn hierzulande während der Fertigung plötzlich Normen geändert würden, heißt es, reiche die Zeit eben nicht mehr aus. Zudem seien die deutschen Zulassungsprozesse kompliziert. Das ist ein mehr oder weniger dezenter Hinweis auf das Eisenbahn-Bundesamt, das den neuen ICE-Zügen zeitweise wegen neuer Auflagen für Bremsen, Klimaanlagen und andere Komponenten die Zulassung verweigert hatte.

Die DB zittert nun mangels Reserveflotte nicht nur dem Winter in Deutschland entgegen. Durch die ICE-Lieferverzögerung staut sich auch der Ausbau des internationalen Fernverkehrs. Bereits für 2011 und dieses Jahr geplante ICE-Verbindungen nach Frankreich und Belgien sind nach Einschätzung der Bahn nun nicht vor 2016 voll einsatzfähig. Eine weitere Strecke nach London, die für 2013 geplant war, steht in den Sternen.

Was Siemens das Ganze neben einem wachsenden Imageverlust finanziell kostet, ist noch offen. Man stehe mit der Bahn darüber in Verhandlungen, sagt ein Sprecher. Belastungen von 70 Millionen Euro für das ICE-Debakel sind bereits verbucht. Angeboten hat der Konzern seinem Kunden darüber hinaus die kostenlose Lieferung eines siebzehnten ICE im Wert von gut 30 Millionen Euro. Das galt aber noch unter der Prämisse, Anfang Dezember die Hälfte der Züge liefern zu können.

„Wir brauchen dringend mehr Verlässlichkeit bei der Herstellerindustrie“, mahnte DB-Technikchef Volker Kefer an. Immerhin muss sich die Bahn für jede Minute Verspätung kritisieren lassen. Beim Lieferanten Siemens summiert sich der Verzug nun auf mehr als ein Jahr.