Die beiden Kreischefs von Böblingen und Calw sowie die Bürgermeister von Calw, Leonberg, Renningen und Weil der Stadt wollen Gespräche mit dem Verkehrsministerium zu einer besseren Verbindung Calw-Stuttgart aufnehmen.

Was haben sich die Kreise Calw und Böblingen nicht einst beharkt, als es um die Hermann-Hesse-Bahn ging, wann und wohin sie mit welchen Zügen fahren soll. Diese Konflikte gehören längst der Vergangenheit an. Vor allem der geplante Einsatz von Batteriezügen statt Dieselloks hat die Akzeptanz des Calwer Schienenprojekts merklich erhöht.

 

Für eine zukunftsweisende Entwicklung des Schienenverkehrs wollen die Beteiligten nun noch stärker zusammenarbeiten. In einem gemeinsamen Brief wenden sich die Landräte von Calw und Böblingen sowie die Bürgermeister von Calw, Leonberg, Renningen und Weil der Stadt an den Verkehrsminister Winfried Hermann und regen einen Austausch an.

Wie geht es weiter mit der S 6 und der S 62?

Zwar hat sich der Starttermin für die Hesse-Bahn, die Calw über Weil der Stadt beziehungsweise Renningen an das Stuttgarter S-Bahn-Netz anschließen soll, nach jüngsten Erkenntnissen spürbar nach hinten verschoben, voraussichtlich auf 2024. Die Baufortschritte sind aber „unverkennbar, und alle warten nunmehr gespannt auf die tatsächliche Wiederaufnahme des Betriebs“, heißt es in dem gemeinsamen Brief. Mit Blick auf den näherkommenden Betriebsstart sei nun der richtige Zeitpunkt, um über die mittel- und langfristige Anbindung des Raums Calw an die Region Stuttgart ins Gespräch zu kommen.

Genannt sind unter anderem das Stufenkonzept der Hermann-Hesse-Bahn, das in eine Verlängerung der S 6 münden soll, die Rolle der „Express-S-Bahn“ S 62 und die Ausbauoptionen des eingleisigen Streckenabschnitts Malmsheim-Weil der Stadt. „Wichtig ist uns auch, darüber zu sprechen, was gegebenenfalls nach Fertigstellung von Stuttgart 21 verbessernd möglich sein kann“, sagt der Renninger Bürgermeister, Wolfgang Faißt. Für Renningen zum Beispiel könnte der Abschluss eine Anbindung an die neue S 62 ermöglichen.

„Es ist ein tolles Ergebnis“

Auch, wenn die einzelnen Anliegen recht offen formuliert und noch keine konkreten Forderungen damit verbunden sind, ist diese Art der Zusammenarbeit der Kreise und Kommunen gegenüber dem Land bislang einzigartig. „Es ist ein tolles Ergebnis, auch angesichts der Vorgeschichte, dass die vier großen Anrainerkommunen und beide Landkreise nun an einem Strang ziehen“, formuliert es Christian Walter, Bürgermeister von Weil der Stadt. „In Stuttgart wird man nur gehört, wenn man seine Interessen gemeinsam artikuliert.“ Auch der Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn bewertet den interkommunalen Vorstoß daher nicht nur als „starkes Signal bezüglich der Bündelung gleicher Interessen“, sondern er bedeute vor allem „die Basis zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles“, des Umstiegs vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr, zu forcieren. „Die Anbindung des jeweiligen Raums Calw – Weil der Stadt – Leonberg an die Landeshauptstadt Stuttgart mittels Schiene dürfte sich mit den Zielen des Verkehrsministeriums decken.“

So steht es letztlich auch in dem gemeinsamen Brief: „Uns alle eint das Ziel, die Verkehrswende unterstützen zu wollen und die Ziele daher in die lokalen Bedarfe vor Ort zu übersetzen. Auch deshalb möchten wir noch einmal bekräftigen, dass die bevorstehende Stufe 1 des Betriebskonzeptes der Hermann-Hesse-Bahn nur als erster Schritt verstanden werden kann. Denn: Wenn tatsächlich eine Vielzahl an Menschen auf den ÖPNV umsteigen soll, so führt aus unserer Sicht an einer beschleunigten und umsteigefreien Verbindung aus dem Landkreis Calw ins Stuttgarter Zentrum kein Weg vorbei.“

S-Bahn oder Metropolexpress?

Wie letztlich eine ideale Schienenanbindung des Raums Calw aussehen soll, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Aus Sicht des Verbands Region Stuttgart ist eine Verlängerung der S-Bahn die einzig wirtschaftliche Lösung. Da die Fahrt von Calw nach Stuttgart mit der S-Bahn eine Stunde dauern würde und es darin auch keine Toiletten gibt, gibt es an dem Vorhaben aber auch Kritiker. Diese kamen anfangs eher aus dem Raum Calw, inzwischen gibt es Befürworter aus politischen Gremien in Weil der Stadt, nämlich vom Bürgermeister Walter, und in Leonberg. Sie sprechen sich für eine deutlich komfortablere Regionalzugverbindung in Form eines Metropolexpresses aus.

„Der Begriff ,Metropolexpress‘ findet sich in unserem Schreiben deshalb nicht, weil es dieses Thema mangels Wirtschaftlichkeit – und damit mangels Förderfähigkeit – aktuell weder für das Verkehrsministerium noch für den Verband Region Stuttgart gibt“, sagt Wolfgang Faißt. Mit dem Schreiben wolle man vor allem an die Vereinbarung von 2019 erinnern und auf eine möglichst rasche Umsetzung der S-Bahn-Verlängerung drängen.

Zeitlicher Vorteil beim Autofahren ist noch zu groß

„Wenn man die Verkehrswende will, muss man das Ganze sehen“, ergänzt Christian Walter. „Für die technische Lösung einer beschleunigten Verbindung – MEX, Express-S-Bahn oder ganz anders – gibt es keine Vorfestlegung der Unterzeichner. Wir sind grundsätzlich für alle Optionen, die Verbesserungen bringen, offen.“

Offensichtlich ist für ihn, dass die Schiene im Moment nur bedingt konkurrenzfähig zum Auto sei, fasst es Christian Walter zusammen. „39 Minuten Fahrzeit für die circa 30 Kilometer von Weil der Stadt bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof sind einfach zu lange.“ Auf der B 295 habe man bei Weil der Stadt eine durchschnittliche Verkehrsstärke von rund 20 000 Fahrzeugen pro Tag. „Ich befürchte, dass die Verkehrswende, trotz 49-Euro-Ticket, unter diesen Umständen nicht gelingen kann. Der zeitliche Vorteil im motorisierten Individualverkehr von Tür zu Tür ist derzeit einfach zu groß.“