Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen Francesco Schettino, den Schiffskapitän der im Januar 2012 gestrandeten Costa Concordia. Auf der Insel Giglio will man indes nur noch eins: Ruhe.

Giglio - Sie liegt immer noch direkt vor der Nase der Einwohner, wenige Dutzend Meter vor der Hafeneinfahrt: die 290 Meter lange und 36 Meter breite Costa Concordia. Am 13. Januar 2012 war das riesige Schiff nach einem tollkühnen Manöver ihres Kapitäns Francesco Schettino mit mehr als 3000 Passagieren und 1200 Besatzungsmitgliedern an Bord hier gestrandet. 32 Menschen verloren ihr Leben – und die kleine toskanische Insel Giglio ihre Unschuld. „Das Schiff hat uns unsere Identität geraubt“, sagt der Bürgermeister Sergio Ortelli. Die Ruhe sei ein Markenzeichen von Giglio gewesen. Mit der Ruhe ist es jedoch seit 18 Monaten vorbei. „Für die Welt sind wir bloß noch die ,Insel des Desasters’, dabei soll Giglio doch ein Ort der Ferien und der Freude sein“, sagt Ortelli.

 

Der einst strahlend weiße Rumpf der Concordia ist etwas rostig geworden. Mit der weißen Farbe hat das Wrack auch einen Teil der morbiden Faszination verloren, welche es nach dem Unglück noch ausgestrahlt hatte. Heute ist das Schiff bloß noch eine gigantische Baustelle. Etwa 400 Techniker zweier Bergungsfirmen, darunter 100 Taucher, haben unter dem Schiffsrumpf Plattformen in der Größe eines Fußballfeldes in den Meeresboden betoniert, Verankerungstürme hochgezogen und armdicke Stahlseile verlegt. Auf der linken Schiffsseite ist einer der 30 Meter hohen Stahltanks montiert worden, welche bei der Aufrichtung des Schiffs helfen sollen.

Bergung wird 500 Millionen Euro kosten

Auf Giglio findet derzeit die größte und vermutlich teuerste Bergung in der Geschichte der Seefahrt statt. 24 Stunden am Tag sind an der Costa Concordia Kräne im Einsatz. Nachts wird bei Flutlicht gehämmert, geschweißt, gelärmt. Der Termin für die Bergung musste mehrfach verschoben werden. Dass es zu Verzögerungen kam, lag neben schwerem Seegang daran, dass es sich um eine komplexe Operation handelt, die in dieser Form bisher noch nirgends durchgeführt worden ist. Laut Ortelli wird die Bergung wohl 500 statt der ursprünglich kalkulierten 300 Millionen Euro kosten. Das entspricht beinahe dem Neupreis des Schiffs von 560 Millionen Euro.

Das „Aufrichte-Fest“ für die Costa Concordia ist für September geplant. Auf Giglio gibt es niemanden, der diesen Moment nicht entgegensehnt. „Wir werden uns wohl an den neuen Anblick gewöhnen müssen, wenn das Schiff erst einmal abgeschleppt sein wird“, sagt Giovanna Rum, Inhaberin des Hotels Saraceno. Von der Hotelterrasse hat man die beste Aussicht auf das Wrack. Das US-Network CBS hat für September bereits ein Zimmer mit einem Balkon für die Kameras reserviert. Das Saraceno ist einer der wenigen Betriebe, die von der Havarie auch profitieren konnten. Dennoch zählt auch Rum die Tage bis zum Verschwinden den Schiffs: „Wir brauchen die Rückkehr zur Normalität.“

Fotografierbare Titanic

Im Jahr 2012 hatte der Tourismus wegen der Havarie schwere Einbußen zu verzeichnen: „Je nach Betrieb gingen die Umsätze zwischen 25 und 40 Prozent zurück“, sagt Elisabeth Nanni, Präsidentin des Fremdenverkehrsvereins Pro Loco. Dieses Jahr sei aber eine „allmähliche Erholung“ festzustellen. Im vergangenen Jahr hätten sich viele Dauergäste von dem Rummel, aber auch von möglichen Umweltschäden abschrecken lassen. Die Ausfälle seien von den „Katastrophentouristen“ nicht ansatzweise kompensiert worden, da diese bloß ein paar Stunden geblieben seien und bestenfalls ein „panino“ gegessen hätten. Die Tourismuspräsidentin zeigt jedoch Verständnis für die Neugier der Leute: „Das hier ist die ,Titanic’, die man nach ihrem Untergang noch fotografieren kann.“

Wenig Umsatz bringen auch die etwa 400 Bergungstechniker. Die meisten von ihnen wohnen und essen auf dem „schwimmenden Hotel“ aus Dutzenden von blauen Wohncontainern, die auf einem Ponton neben dem Wrack aufeinandergestapelt wurden.

Über Schmerz redet man nicht gern mit Fremden

„Basta con questa nave!“ – „Schluss mit diesem Schiff!“ sagt der Dorfpriester Lorenzo Pasquotti, der in jeder Messe für die 32 Toten betet. Das Hauptproblem seien nicht die Umsatzeinbußen: „Es geht darum, dass das Schiff zu einem Teil der Insel, zu deren Essenz geworden ist.“ Don Lorenzo hatte in der Nacht des Unglücks Dutzende von frierenden und traumatisierten Schiffbrüchigen aufgenommen und in seine Messgewänder gesteckt. Die Menschen von Giglio seien stolz auf ihre Hilfsbereitschaft, doch nun wollten sie wieder ihre Ruhe. Zum Prozess gegen Schettino, der am heutigen Mittwoch beginnt, mag sich der Priester nicht äußern: „Was ich über ihn zu sagen hätte, wäre mit der Idee der christlichen Barmherzigkeit nicht vereinbar“, sagt er. „Die Leute wollen nicht über dieses Unglück reden. Über Schmerz redet man nicht gern mit Fremden.“

Die Gemeinde Giglio beteiligt sich als geschädigte Partei am Prozess gegen Schettino und verlangt eine finanzielle Kompensation für materielle und ideellen Schäden. In den Medien kursiert die Zahl 80 Millionen Euro. Es gehe aber nicht darum, aus der Tragödie Profit zu schlagen, sagt Bürgermeister Ortelli. „Wichtig ist der Prozess für die Angehörigen, die Gerechtigkeit erwarten.“ Auch Elisabeth Nanni erwartet nicht viel vom Prozess: „Die Dämonisierung eines Einzelnen hat keinen Sinn. Es kann ja nicht sein, dass 4200 Menschenleben dem erstbesten Idioten auf der Kommandobrücke ausgeliefert sind“, sagt die Tourismuspräsidentin. „Es sind doch auch noch andere Personen mitverantwortlich.“