Experten sind der Überzeugung, dass Knoten in der Schilddrüse zu oft und zu schnell operiert werden. Meist sind die Verdickungen nämlich harmlos.

Stuttgart - Rund 30 bis 40 Prozent der Deutschen haben einen oder mehrere Schilddrüsenknoten. Bei älteren Menschen ist das oft noch eine Folge von Jodmangel: die Schilddrüse ist dadurch größer geworden. Jährlich werden aus Angst, es könnte aus den Knoten eine Krebserkrankung entstehen, etwa 110 000 Schilddrüsen in Deutschland operiert. „Das ist fast zehnmal so viel wie in Großbritannien. Und in den USA werden bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 314 Millionen Menschen gerade einmal rund 60 000 Schilddrüsen entfernt. Die Patienten werden hierzulande oft reflexartig zur Operation geschickt“, bemängelt Joachim Feldkamp, der Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie der Städtischen Kliniken Bielefeld-Mitte. Dabei sind die wenigsten Knoten bösartig.

 

Sogenannte heiße – stoffwechselaktive – Knoten sind im Erwachsenenalter immer gutartig. Und bei den kalten – sehr stoffwechselarmen – Knoten sind rund 98 Prozent gutartig. „Trotzdem wird häufig die Schilddrüse entweder ganz oder teilweise entfernt. Das ist tragisch, wenn es unnötig ist“, sagt Feldkamp.

Operation birgt einige Risiken

Die schmetterlingsförmige Schilddrüse ist nämlich nicht irgendein Organ, sondern beeinflusst dank der von ihr produzierten jodhaltigen Schilddrüsenhormone viele lebenswichtige Stoffwechselprozesse im menschlichen Körper. Ein Mensch ohne Schilddrüse muss lebenslänglich Schilddrüsenhormone einnehmen. Darüber hinaus birgt eine Operation gewisse Risiken, denn nicht alle Chirurgen operieren gleich gut. „Es treten jährlich infolge des Eingriffs etwa 2000 Stimmbandnervenlähmungen auf“, warnt Joachim Feldkamp. Eine weitere Komplikation ergibt sich, wenn die benachbarte Nebenschilddrüse bei der Operation verletzt wird: Dann kommt es zu einer Unterfunktion dieser Drüse, die den für die Knochengesundheit wichtigen Kalzium- und Phosphathaushalt reguliert. Der Patient muss dann lebenslänglich Vitamin D einnehmen – anfangs mit dem Risiko einer zu niedrigen Dosierung.

Dabei könnte mit einer Anamnese – also einer ausführlichen Befragung des Patienten zu seiner Leidensgeschichte – sowie einer vernünftigen Vordiagnostik in vielen Fällen die Bösartigkeit eines kalten Knotens ausgeschlossen werden. Ein neuer Gentest – kürzlich im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ vorgestellt – ist noch nicht aussagekräftig genug und mit 3500 Dollar pro Patient auch viel zu teuer. Folgende Vorgehensweise führt aber zumeist zum Erfolg: Zunächst einmal kann der Arzt mit einer Szintigrafie, einer nuklearmedizinischen Methode, feststellen, ob es sich um heiße oder kalte Knoten oder gar – wie in fünf Prozent der Fälle – um eine harmlose Zyste handelt. „Ein sehr erfahrener Arzt kann mit einer Blutuntersuchung und bei einer Ultraschalluntersuchung der Knoten anhand bestimmter Kriterien, wie beispielsweise dem Vorhandensein von Mikro-und Makroverkalkungen sowie Durchblutungsgrad, schon recht gut zwischen gut- und bösartig unterscheiden“, berichtet Feldkamp.

Weiche Knoten sind zumeist gutartig

Zusätzlich kann der Arzt mit Hilfe einer sogenannten Elastografie Aussagen zur Härte des Knotens machen. Weiche Knoten sind zumeist gutartig. Besteht trotzdem noch eine Unsicherheit, kann eine Feinnadelpunktion erfolgen. Bundesweit liege ihre Genauigkeit bei etwa 70 Prozent, meint Feldkamp, erfahrene Ärzte brächten es auf 75 bis 90 Prozent. „Aber mitunter wird die Punktion gar nicht mehr durchgeführt, sondern es wird gleich operiert“, kritisiert der Experte. Und er entkräftet auch ein Argument, das oft gegen die Feinnadelpunktion ins Feld geführt wird: „Man kann die Nadel beim Durchstechen des gesunden Gewebes durch ein Metallteil verschließen und dieses erst im kalten Knoten entfernen, so dass nur Gewebe des Knotens gesammelt wird.“

Sind Schilddrüsenknoten ein Zufallsbefund, können Betroffene ihre Knoten laut Feldkamp einfach in regelmäßigen Abständen kontrollieren lassen – natürlich unter der Voraussetzung einer guten Vordiagnostik, die nichts Auffälliges ergibt. „Schilddrüsenkrebserkrankungen sind meist relativ gutartig, denn sie wachsen sehr langsam. Wachsen die Knoten dagegen schnell, muss man aufpassen und rasch operieren“, mahnt Feldkamp. Während man viele kalte Knoten einfach „in Ruhe lassen“ könne, kann bei einem heißen Knoten aufgrund seiner übermäßigen Produktion an Schilddrüsenhormonen eine Überfunktion (Hyperthyreose) entsteht. Dann empfiehlt sich eine Radiojodtherapie, bei der die stoffwechselaktiven Schilddrüsenzellen im heißen Knoten besonders viel radioaktiv markiertes Jod aufnehmen und durch die Strahlung zerstört werden.

Die Schilddrüse

Organ
Die schmetterlingsförmige Schilddrüse liegt am Hals unterhalb des Kehlkopfes. Sie produziert insbesondere die beiden jodhaltigen Hormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4).

Funktion
Das Organ samt seinen Hormonen spielt eine wichtige Rolle bei der Regelung verschiedener Vorgänge im Körper. Insbesondere ist es für dessen Leistungsfähigkeit (mit-)verantwortlich.

Fehlfunktionen
Etwa ein Drittel der Bundesbürger hat Experten zufolge Probleme mit Fehlfunktionen der Schilddrüse – wobei die Betroffenen oft nichts davon wissen. Dabei können sowohl Unter- als auch Überfunktionen zu Beschwerden führen. Dazu zählen etwa Über- und Untergewicht, starkes Schwitzen, Bluthochdruck und Nervosität.

Jodmangel
Wenn der Körper zu wenig Jod erhält, kann die Schilddrüse dies zu einem gewissen Grad kompensieren: Sie wird größer und kann dadurch die nötige Hormonproduktion aufrechterhalten.