Einige Jahrzehnte gehörte die Schiller-Buchhandlung zum Ortskern. Am Samstag war letzter Verkaufstag. Wir waren dort und haben mit Kunden und Mitarbeitern gesprochen.

Böblingen: Leonie Schüler (lem)

Vaihingen - Mit Gruppenfotos, Umarmungen, Blumengeschenken und vielen guten Wünschen ging es am Samstag in der Schiller-Buchhandlung zeitweise zu wie bei einem Geburtstagsfest. Nur war der Anlass kein so fröhlicher, denn das Traditionsgeschäft hatte letztmalig zum Verkauf geöffnet. Dass das letzte Stündlein der Buchhandlung geschlagen hatte, war nicht zu übersehen: Zwischen reihenweise leeren Regalen mussten die Besucher die Bücher fast suchen. Die Kunden kamen hingegen umso zahlreicher: Manch einer auf der Suche nach einem Ausverkaufsschnäppchen, viele aber auch nur, um der Inhaberin Susanne Martin für die vergangenen 22 Jahre, während der sie die Traditionsbuchhandlung geführt hatte, zu danken und ihr alles Gute zu wünschen.

 

„Das war eine Vorzeigebuchhandlung für die ganze Branche“, sagte Christian Berger, als er ein letztes Mal nach Schmökerstoff suchte. „Die Mitarbeiter wussten immer exzellent Bescheid und haben einen toll beraten.“ Stefan und Sarolta Kraft sind aus Kaltental an den Vaihinger Markt 17 gekommen, um Abschied von „ihrer“ Buchhandlung zu nehmen. „Seit ich wusste, dass sie schließt, war ich fast jede Woche da“, sagte Sarolta Kraft. Auch sie hat die Beratung der Mitarbeiterinnen geschätzt, „das hat immer gepasst“. Ihr Mann betont, dass er bewusst Bücher über die Buchhandlung bestellt habe statt im Internet. Er mag kleine Läden, die sich über die Gassen verteilen. „Die beleben sehr. Jetzt geht wieder ein Puzzleteil verloren, das im bunten Angebot fehlt.“

Buchläden als Wohlfühlorte

Steffi Freytag hat im Ausverkauf noch drei Bücher gefunden, die sie interessieren. Einen Buchladen zu verlieren sei traurig, „denn es ist ein schöner Ort, wo man sich gerne aufhält“. Darum möchte sie in Zukunft jene Buchläden unterstützen, die es vor Ort noch gibt. Susanne Martin forderte explizit dazu auf.

Nicht nur den Kunden wird die Schiller-Buchhandlung fehlen, sondern auch den Mitarbeiterinnen. „Sie ist ein Stück Heimat geworden. Mir werden die Begegnungen fehlen“, sagte Natalie Puttkammer, die mehr als 30 Jahre in dem Buchladen gearbeitet hat. Ihn zu übernehmen, sei für sie aber nicht infrage gekommen, „wenn man sieht, wie viel Arbeit dahintersteckt und wie wenig dabei rumkommt“. Ihre Kollegin Jeannette Houillon geht in den Ruhestand, doch auch ihr fällt der Abschied schwer. „Die Atmosphäre war toll, rundum stimmig“, sagte sie. Sie bedauert, dass viele inhabergeführte Läden schließen und immer mehr große Ketten in die Innenstädte ziehen. „Die Städte werden zu austauschbaren Schablonen. Ich finde die Entwicklung tragisch. Irgendwann werden die Menschen merken, dass ihnen was fehlt, wenn sie nur noch vom Sofa aus einkaufen.“

Die Stimmung im Einzelhandel

Auch eine ehemalige Mitarbeiterin war zu einem Abschiedsbesuch vorbeigekommen. Sie schlug nachdenkliche Töne an: „Ich hätte nicht gedacht, dass man im Einzelhandel so viel aushalten muss.“ Manche Kunden hätten eine unverschämte Anspruchshaltung an den Tag gelegt, andere wiederum hätten sich für kleinste Handgriffe bedankt. Der Trend, im Internet einzukaufen, missfällt ihr: „Ein Stück Menschlichkeit geht dann verloren.“

Susanne Martin ist traurig darüber, ihre Buchhandlung schließen zu müssen, wenngleich sie sich sicher ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Neben gesundheitlichen Gründen sei es die schwierige Situation der Buchbranche, die sie zu diesem Schritt zwinge. In ihren Augen ist es aber nicht vornehmlich die Konkurrenz des Internethandels, die mehr und mehr Buchläden in die Knie zwingt, sondern gesellschaftliche Veränderungen. „Die Leute haben weniger Zeit zum Lesen“, sagt Martin. Denn das Konkurrenzangebot, wie die Freizeit gestaltet werden kann, nehme zu. Das Internet durchdringe unser Leben. „Teilweise gibt es gut gemachte Inhalte im Netz, aber unsere Lebenszeit haben wir eben nur einmal.“

Angst davor, nach Ladenschluss in ein Loch zu fallen, hat sie nicht. Schließlich ist viel zu tun, bis alle Geschäfte abgewickelt sind. Anschließend plant sie eine Kunstreise mit ihrer Frau, „und dann kümmere ich mich um meine Gesundheit, lese und tue Dinge, zu denen ich keine Zeit hatte.“