In der Werkhalle des Stuttgarter Schauspiels hatte am Samstag Schillers ,,Jungfrau" Premiere, ein Drama über Aufstieg und Fall einer Fundamentalistin.

Stuttgart - Zu seinen Lebzeiten war die „Jungfrau von Orleans“ eines seiner erfolgreichsten Dramen. Als die ,,romantische Tragödie“ 1801 uraufgeführt wurde, konnte sich Schiller in einem Bühnenerfolg sonnen, der heute freilich nur noch schwer nachzuvollziehen ist. Und das liegt, neben der sperrigen Stückarchitektur, vor allem am Wesen der legendären Jungfrau selbst: Unter Berufung auf einen göttlichen Auftrag verfolgt die Jungfrau eine heilige Mission und vertreibt die Engländer aus Frankreich. Doch wie diese Johanna das macht, lässt uns heutige Beobachter schaudern: Ohne Gnade, ohne Erbarmen schlachtet sie ihre Feinde ab - eine religiöse Fundamentalistin, die im 21. Jahrhundert nicht zu Schild und Schwert, sondern zum Sprengstoffgürtel greifen würde. Schiller bringt für das Mädchen über weite Strecken viel Verständnis auf: Es beweist ihm, dem Idealisten, die Kraft und Gewalt der reinen Idee.

Fürs Stuttgarter Schauspiel hat sich Annette Pullen am Samstagabend diese „Jungfrau“ vorgeknöpft: offensiv, geradlinig, furchtlos. Und obwohl die straffe Inszenierung in der Werkhalle nur hundert Minuten lang ist, macht sie mit Johanna mehr als nur einen kurzen Prozess. Die Schauspielerin Minna Wündrich beglaubigt auf intensive Weise den Aufstieg und Fall des liebreizenden Mädchens, das mit 17 Jahren zur schrecklichen Kriegerin wurde – und in Zentrum von Schillers gedankenschwerem Thesendrama steht nun ein wahrhaftiger Mensch, der am Ende selbst darüber erschrickt, zum Monster geworden zu sein. Das Premierenpublikum dankte mit starkem Beifall.