Manchmal ist die Wirklichkeit so verrückt, dass sie nicht zu Literatur taugt. Oder was soll man davon halten, dass der US-Geheimdienst sich telepathische Fähigkeiten zunutze machen wollte? In seiner Schiller-Rede gibt Daniel Kehlmann darauf eine Antwort.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Wie viel historische Einbildungskraft steckt in einer Marbacher Schillerrede? Jedes Jahr um den Geburtstag des Namenspatrons herum sind Persönlichkeiten der Zeitgeschichte dazu aufgerufen, im Deutschen Literaturarchiv eine Brücke aus ihrem jeweiligen Lebensbereich ins Totenreich zu schlagen, um so die fortwährende Wirksamkeit des historischen Erbes unter Beweis zu stellen. Schiller als Medium, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden. Wer hier einen spiritistischen Zungenschlag heraushört, ist nah an dem, was der diesjährige Schiller-Redner, der Autor Daniel Kehlmann, an diesem zwischen Nebel und Sonne changierenden Sonntagmorgen entwickelt. Seine Romane „Die Vermessung der Welt“ und „Tyll“ sind Bravourstücke historischer Einbildungskraft. Und auch wenn es keine „Schiller-Bestsellerlisten“ sind, auf denen sie Spitzenplätze belegen, wie die Direktorin des Archivs, Sandra Richter, mit apartem Versprecher in ihrer Einführung bemerkt, bewegen sie sich doch auf Schiller’schem Grund: der eine, weil er dessen Zeitgenossen, den weltenreisenden Alexander von Humboldt und den Mathematiker Carl Friedrich Gauß, auf ziemlich eigenwillige Weise ins Leben zurückruft; der andere, weil er mit dem dreißigjährigen Krieg einen Stoff behandelt, dem sein klassischer Vorgänger erhabene Meisterwerke der Geschichtsschreibung und Dramenliteratur abgewonnen hat.