Mit Punk und Polka bringt das neue Album des Stuttgarter Songwriters Micha Schlüter die Leute zum Tanzen. In den Texten finden sich schöne Zeilen zur Ein- und Zweisamkeit, zu Stuttgart - und stellenweise eine etwas naive Gesellschaftskritik.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Für das Hören des Albums "Schimpanse & Kanone" (Timezone Records) von Micha Schlüter hilft es, schon einmal auf einem Vive-la-Vie-Festival gewesen zu sein. Dort kommen Jahr für Jahr, zufällig häufig an einem eher kalten Frühlingsabend, Menschen zusammen, um sich an der Musik zu wärmen. Wichtig zu wissen: da trifft man keine Hipster, sondern eher Leute, die sagen, dass sie Hipster nicht so gut finden.

 

Micha Schlüter vom Feierabendkollektiv ist mit seinem Album soundmäßig so etwas wie der Punk unter den Vive-la-Vie-Singer/Songwritern. Er setzt zwar wie die anderen Kollektivisten auf akustische Instrumente, darunter auch eine Geige. Das wird aber so gespielt, dass Sitzenbleiben keine Option ist. Klanglich ist das vom Musiker selbst und von Sebastian Brandt charmant eingefangen; der Sound klingt natürlich, aber trotzdem druckvoll. Mit dieser Musik mischt man jedes Vive-la-Vie-Festival auf, und noch manch anderes Konzert.

Seine stärksten Momente hat das Album, wenn Schlüter über Ein- und Zweisamkeit singt und Welten beschreibt, wie sie jede Liebesbeziehung ganz für sich alleine erschafft. "Unter mir die Stadt, sie singt polyphon / Und ich steh' wie versteinert da": Das sind schöne Songzeilen, vor allem wenn man weiß, über welche Stadt da gesungen wird. "Stuttgart Calling" hat schon vor einiger Zeit ein hübsches Musikvideo spendiert bekommen:

Es gibt mehrere so beschwingte Songs auf dem Album, zu denen man einfach sein kann, und zwar am besten ausgelassen. Live darf man sich darauf freuen, zum Beispiel bei der Release-Show diesen Donnerstag im Theater am Olgaeck.

Die schwächeren Momente der Platte sind die, in denen es um Gesellschaftskritik geht. Das hat nichts damit zu tun, dass definitiv die Zeit für Gesellschaftskritik ist oder dass Schlüter im Song "Gefahr!" eindringlich vor Verschwörungstheoretikern warnt. Irritierend sind eher die Zeilen über den internet- und selfieverliebten Zeitgeist.

Das lyrische Ich blickt da manches Mal arg altklug auf eine Welt, die sich eigentlich doch schon lange weitergedreht hat. "Noch zwei Klicks dann auf Facebook / Ist schon irre diese Zeit": das gefällt gewiss vielen, sicher auch beim Vive la Vie. Es könnte aber gerade von jungen Künstlern auch origineller formuliert werden. Zumindest aus Kritikersicht ist das der Wermutstropfen bei einer ansonsten in sich stimmigen Platte. 


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