Ob jung, alt, reich oder arm – Schimpfwörter zu verwenden, gilt gemeinhin als verwerflich. Dabei hat Fluchen wesentlich mehr gute Seiten, als man denkt.
Im Straßenverkehr, „wenn der ********** Vollpfosten vornedran seinen Führerschein wohl im Lotto gewonnen hat“, beim Bilderaufhängen, wenn der Hammer nicht auf dem ******** Nagel“, sondern dem Daumen landet, oder „wenn der ******* von nebenan wieder mal zu laut seine *********** Musik hört“: Geflucht wird immer und überall. Unser Planet ist voll von schimpfenden Rohrspatzen, unabhängig von Herkunft oder Bildungsgrad.
Und das liegt nicht an der Lasterhaftigkeit unserer Gegenwart, sondern das war schon immer so: „Flüche und Beschimpfungen gibt es, seitdem es Menschen gibt“, erzählt Andrea-Eva Ewels, Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache. „Erste schriftliche Zeugnisse haben wir seit etwa 800 nach Christus. Eines der ältesten Schimpfwörter der Literatur ist ,Hund‘, welches in einem Gedicht in der altindischen ,Rigveda‘ vorkommt.“
Geflucht wird in allen sozialen Schichten
Waren anfangs noch Wortschöpfungen wie „Lüstling“ oder „Scheißkerl“ verwerflich und wurden gar mit Geldbußen bestraft, kann ein Jugendlicher von heute gesellschaftlich einpacken, wenn er nicht wenigstens ab und an ein beherztes „Fick dich“ oder „Wichser“ einstreut.
Das gehöre sich aber nicht, mag sich mancher empören und die mangelnde Erziehung des Nachwuchses beklagen. Doch die ist beim Fluchen nicht ausschlaggebend. Ebenso wenig wie der Intelligenzquotient.
Geflucht wird laut Ewels in allen sozialen Schichten. „Es wird sogar vermutet, dass intelligente Menschen eher dazu neigen zu fluchen.“ Mehreren Studien zufolge sind Menschen, die viele Schimpfwörter in ihre Rede einfließen lassen, rhetorisch insgesamt gewandter.
Beliebt im Bundestag: „Idiot“
So macht das Fluchen auch vor Politikern nicht halt. Schimpfwörter sind die Würze einer Plenarsitzung im Bundestag. Besonders beliebter Zwischenruf bei den Damen und Herren in Berlin: „Idiot“.
Zu harmlos, dachte sich wohl 1984 der grüne Abgeordnete Joschka Fischer und adressierte verärgert ein „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ an den damaligen Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen (CSU).
Die Äußerung dürfte zumindest dem späteren Bundesaußenminister selbst wohlgetan haben. Fluchen ist nämlich sehr gesund, jedenfalls, wenn man es in Maßen praktiziert und sich nicht zu arg in den überhöhten Puls zetert. Adrenalin, Cortisol und Endorphine werden ausgeschüttet: Ein paarmal **** oder **************** rufen, schon werden Schmerz und Ärger abgebaut.
Mark Twain: Besser als beten
Ewels: „Die Frustration im Menschen erzeugt Aggressionsgefühle. Werden diese nicht abgelassen, kann der Mensch krank werden. Mit dem Schimpfen wird das innere Gleichgewicht wiederhergestellt.“
Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (1835–1910) kam zu dem Schluss: „Fluchen bringt uns solche Erleichterung, welche uns kein Gebet geben kann.“
Sicher gibt es durchaus Kreativeres als die hierzulande oft verwendeten Wortschöpfungen mit „Arsch-“, aber so sind wir Deutschen nun mal: fäkal-vulgär. „Italiener, Spanier und viele andere im europäischen Sprachraum tendieren dagegen eher zum sexuell-vulgären Fluchen“, weiß Ewels. In Persien sagt man „Ich furze in deines Vaters Bart“, während im asiatischen und im arabischen Raum gerne die Mütter beleidigt werden.
Jeder Generation ihre Schimpfwörter
Und natürlich kommt viel aus dem Amerikanischen. Ein beherztes „Fuck“ gehört heute gerade bei den Jüngeren zu beinahe jeder Tätigkeit, die nicht optimal gelingt. Das muss nicht lange so bleiben. In den 1980ern war „geil“ anstößig, heute verwenden überwiegend betagtere Leute das Wort. „Es ist ein ständiger Wandel. Häufig entwickeln sich neue Schimpfwörter in den jungen Generationen. Was also in der einen Generation als Schimpfwort funktioniert hat, das funktioniert möglicherweise in der anderen schon nicht mehr“, weiß die promovierte Sprachforscherin.
Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der „heiligen Scheiße“. Ewels: „Von der Vergangenheit bis heute fluchen Menschen in religiösem Kontext. Menschen aus katholischen Gebieten benutzen blasphemische Schimpfwörter und Flüche, weil solche gotteslästerlichen Äußerungen in dieser Kultur verboten oder Sünde sind.“
Frauen ecken mit Fluchen eher an als Männer
Auch wenn der Herrgott das nicht mit Wohlwollen betrachten dürfte, bleiben religiöse Flüche bei uns meist ohne große Folgen. Doch in anderen Teilen der Welt rät Ewels zur Zurückhaltung: „In vielen Ländern mit Staatsreligion sind Flüche mit Bezug auf Religion eine Straftat und können sogar mit der Todesstrafe belegt werden, vor allem in muslimischen Ländern.“
Dort haben Frauen ohnehin weniger zu sagen, zu fluchen haben sie jedoch schon mal gar nicht. Aber auch in Mitteleuropa markiert Fluchen eine gewisse Männlichkeit, so Ewels: „Fluchende Männer sind meist akzeptabel, fluchende Frauen oft anstößig. Für Frauen sind die Grenzen, negative Emotionen mit Schimpfwörtern auszudrücken, viel enger gesteckt.“
Im Dialekt klingt manches wohlwollender
Dabei kann Fluchen Situationen auch auflockern, vor allem im Dialekt. So klingen die schwäbischen Schimpfwörter „Grasdackel“ oder „Rotzaff“ längst nicht so übel wie ********** oder **************** und im Vergleich dazu fast wie ein Gesprächsangebot.
Ohnehin ist Fluchen immer noch besser als eine handfeste Auseinandersetzung. Sigmund Freud, einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts, stellte bereits 1893 fest: „Aber, wie ein englischer Autor geistreich bemerkte, derjenige, welcher dem Feinde statt des Pfeiles ein Schimpfwort entgegenschleuderte, war der Begründer der Zivilisation.“
Und keine Panik, wenn der Nachwuchs mal ein bisschen herumpöbelt. „Schimpfwörter sind ein Zeichen dafür, dass Kinder lernen, kreativ mit den Möglichkeiten und der Macht der Sprache umzugehen“, findet Ewels. „Sie üben auf Kinder einen Reiz aus, wobei die Bedeutung vorwiegend keine Rolle spielt.“
Werden Sie also mal beschimpft, dann regen Sie sich am besten gar nicht mehr auf. Das kann doch, ***************** *********, nicht so schwierig sein.