Stuttgart - Während die Welt des Nachts scheinbar zur Ruhe kommt, liegen immer mehr Menschen wach in ihren Betten. Nach Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin leiden bundesweit mehr als zehn Prozent der Deutschen unter unspezifischen Schlafstörungen. Das bedeutet: Sie schlafen so schlecht, dass ihr Tagesablauf dadurch beeinträchtigt ist.
Corona hat den Trend verstärkt: Schon zu Beginn der Pandemie haben Daten – vorwiegend aus China – gezeigt, dass es infolge einer Covid-19-Erkrankung zu wesentlichen Schlafstörungen kommen kann. Dies bestätigen mittlerweile Schlafmediziner aus der ganzen Welt. Es handelt sich dabei meist um eine Insomnie, heißt es von der Uniklinik für Neurologie in Innsbruck. Betroffene, die sich dort meldeten, klagten vorwiegend über Einschlafstörungen, zu frühem Aufwachen oder über einen nicht erholsamen Schlaf.
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Die Forscher stellten fest, dass in der REM-Phase des Schlafes eine vermehrte muskuläre Aktivität festzustellen war. Dies sei ungewöhnlich, sagt die Schlafforscherin Anna Heidbreder. Denn in dieser Phase ist bei gesunden Menschen die Muskelspannung zeitweise gehemmt, damit die in wilden Träumen erlebten Aktionen nicht wirklich ausgeführt werden. Demzufolge könnte die Sars-CoV-2-Erkrankung das zentrale Nervensystem betreffen.
Albträume quälen Patienten
Eine weitere Ursache könnte die vermehrte Stressbelastung durch die Erkrankung selbst sein, die zu einem Zustand von vermehrten Arousals führen kann, so Heidbreder. Damit sind intrinsische Mikro-Weckreaktionen gemeint, die verhindern, dass der Körper zur Ruhe kommen kann. Teils sind die Betroffenen zusätzlich durch Albträume belastet. Meist handelt es sich um Patienten, die mit schweren Verläufen auf der Intensivstation gelegen haben. Ob es sich dabei um Langzeitfolgen handelt und Besserungsmöglichkeiten bestehen, bleibt abzuwarten. Es fehlt an Studien.
Doch nicht nur das Virus selbst, auch das Durchleben der Pandemie raubt vielen den Schlaf: Umfragen, darunter eine der Techniker-Krankenkasse im Dezember, haben gezeigt, dass der Stresslevel bei vielen steigt – und damit auch der Anteil derer, die an Schlafstörungen leiden. Für Schlafforscher wie Jürgen Zulley kommt das nicht überraschend: „Das Nichtwissen, wie es weitergehen wird mit dem Virus und all seinen Varianten, macht vielen Angst“, sagt der Psychologe. Geschürt wird diese oft durch die allgemeine Nachrichtenlage – etwa wenn verstärkt vor Omikron gewarnt werde. Wer Angst hat, kann sich nicht entspannen. „Dabei ist gerade die Entspannung der Königsweg in den Schlaf“, so Zulley.
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Und der ist so wichtig, weil dabei im Körper verschiedenste Prozesse in Gang gesetzt werden, die dazu befähigen, am Tag wieder aktiv zu sein und gesund zu bleiben, sagt Zulley. Im Schlaf sortiert das Gehirn das Gedächtnis. Nicht mehr benötigte Erinnerungen werden gelöscht, Wichtiges wird ins Langzeitgedächtnis übertragen. Auch kann der Körper im Schlaf regenerieren, Krankheiten besiegen und ihnen vorbeugen.
Eine gestörte Nachtruhe kann unter anderem zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, Magen-Darm-Beschwerden und chronische Leiden wie Diabetes begünstigen. Auch psychische Störungen treten bei Schlaflosigkeit häufig auf. „Es ist ein Teufelskreis“, sagt Zulley. Denn Krankheiten verursachen ihrerseits Schlafstörungen durch Schmerzen, fiebrige Infekte oder Refluxkrankheiten. Eine der häufigsten körperlichen Ursachen für unruhige Nächte ist die Schilddrüsenüberfunktion. Ebenso lassen nächtliche Atemaussetzer, die Schlafapnoe, sowie das Restless-Legs-Syndrom den Körper nicht zur Ruhe kommen.
Meist sind es die eigenen Lebensbedingungen, die zu Schlafstörungen führen: In Großstädten, wo die Reizzufuhr und der Lärmpegel höher sind, leiden die Menschen häufiger darunter als auf dem Land. Auch Stress wird häufig als Risikofaktor benannt. Gerade in der Dunkelheit nimmt das Gedankenkarussell an Fahrt auf. Und Probleme, die tagsüber kaum Sorgen bereitet haben, scheinen in diesen Stunden nur schwer zu lösen. Kein Wunder, dass der Schlafforscher nicht müde wird zu betonen, wie wichtig die Schlafhygiene ist. „Dafür müssen schädliche Einflüsse wie Licht und Lärm reduziert werden.“
Schlummertrunk mit Folgen
Fernbedienung, Smartphones und Tablets sollte man vor dem Einschlafen aus der Hand legen: Studien legen nahe, dass die innere Uhr des Menschen besonders empfindlich auf das bläuliche Kunstlicht reagiert. Andere Schlafforscher sind davon überzeugt, dass die emotionale Anspannung zu der Schlafstörung führt: wenn etwa Chats so spannend sind, dass man gar nicht erst zum Schlafen kommt. Wichtig ist es auch, beim Abendessen an die Nachtruhe zu denken: Mindestens zwei Stunden Pause sollten zwischen der letzten Mahlzeit des Tages und dem Zubettgehen liegen. Ein Schlummertrunk ist für den erholsamen Tiefschlaf nicht förderlich: „Wer Alkohol trinkt, schläft schneller ein, neigt aber zu häufigeren Schlafunterbrechungen“, sagt Zulley.
Ziel ist es, eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit dem eigenen Schlaf zu entwickeln. So sollte man sich abends genug Zeit nehmen, um zur Ruhe zu kommen, ohne ins Grübeln zu verfallen. Zulley nennt Möglichkeiten wie Hörbücher, Entspannungsübungen oder Meditationen. Rituale erleichtern es, Abstand von den Ereignissen des Tages zu gewinnen. Wichtig ist, nachts möglichst nicht auf die Uhr zu schauen, sagt Zullay: „Wer sich auf das Einschlafen konzentriert, bleibt erst recht wach.“