Vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim wird über die Betriebserlaubnis des AKW Neckarwestheim verhandelt. Dabei ist die Stilllegung sowieso für April 2023 geplant.

Das zum Energiekonzern EnBW gehörende Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 ist am Mittwoch Streitgegenstand einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim gewesen. Zwei Anwohner sowie der Bund der Bürgerinitiative Mittlerer Neckar klagen gegen eine Betriebsgenehmigung des baden-württembergischen Umweltministeriums, nachdem 2018 schnell wachsende Risse in Heizrohren des Druckerzeugers festgestellt worden sind. Sie verlangen die sofortige Stilllegung des 1400-Megawatt-Atommeilers, der Ende 2022 vom Netz gehen sollte, wegen der Energiekrise aber bis Mitte April 2023 weiterlaufen darf. Sollte der Verwaltungsgerichtshof den Klägern recht geben – eine Entscheidung steht aus – wäre der Plan hinfällig. Teilnehmer einer Mahnwache vor dem Gericht glauben nicht ans Abschaltdatum: „Die Atomlobby arbeitet doch an einer Laufzeitverlängerung“, meinte ein Aktivist.

 

Schlagabtausch zur Materialkunde

Vor Gericht lieferten sich Sachverständige beider Seiten stundenlang einen Schlagabtausch zu Fragen der Materialkunde und Bruchfestigkeit von korrodierenden Rohrleitungen; die drei Verwaltungsrichter hörten geduldig zu, stellten kaum Fragen. Die Klägerseite betonte, dass die Geschwindigkeit der neuerdings gefundenen Risse nicht zu prognostizieren sei und sie nicht – wie kleinere Leckagen, die zu jedem Atombetrieb gehören – in den Griff zu kriegen seien, sondern direkt zu einem gefährlichen Bruch führen könnten. Der könne zur Kernschmelze werden.

Wegen dieser „Schnellläufer“ – im Fachjargon Spannungsrisskorrosion – könne das AKW in einen Zustand geraten, der im Widerspruch zum kerntechnischen Regelwerk stehe. Mit bestimmten Maßnahmen habe der Kraftwerksbetreiber EnBW den „grundsätzlichen Schadensmechanismus zwar abgeschwächt“, aber nicht beseitigt. „Dass der nicht beseitigt ist, das räumt sogar die Gegenseite ein, und das war für uns überraschend“, sagte Alexander Sasse, Sachverständiger der Anti-Atom-Gruppe „Ausgestrahlt“ nach der Verhandlung. „Aber im Gegensatz zu uns hält sie das für ungefährlich.“

Ein Einzelfall in Südkorea

In der Tat hält Thomas Wildermann, Leiter der Atomaufsicht im Umweltministerium, den Weiterbetrieb des Kraftwerks für sicher. Den vollständigen Abriss eines korrodierenden Rohres habe es „weltweit noch nicht gegeben“, sollte der Fall doch eintreten, habe man ein Sicherheitskonzept. Selbst ein zu 80 Prozent geschädigtes Rohr halte bis zur nächsten Revision. Ein Rohrabriss in Südkorea – so ein Gutachter – sei ein Einzelfall, das Rohr schon beschädigt gewesen.

Das Spülen hat geholfen

Ein Richter warf ein, dass man viel über 2018 spreche, und fragte, ob denn jetzt noch erhebliche Gefahren vom AKW ausgingen, da doch Maßnahmen ergriffen wurden. Ein Gutachter des Landes verneinte das: Die EnBW habe nach 2018 Kondensatorleckagen geschlossen, Rohrbodenreinigungen und Spülungen der Rohre durchgeführt: „Das Schadensbild hat sich deutlich verbessert.“