Der Münchner Komponist Christian Bruhn („Marmor, Stein und Eisen bricht“) hat für die Hilfsorganisation Demenz-Support Stuttgart die CD „Lieder sind Freunde“ produziert. Einige Geschichten hinter den Songs stammen von demenzkranken Menschen.

Lokales: Tom Hörner (hör)

Stuttgart - Der Komponist Christian Bruhn hat schon viel gemacht in seiner langen Karriere – aber so eine CD hat er noch nie produziert.

 

Herr Bruhn, angenommen Sie wären nicht 84, sondern 34, hätten Sie dann auch ein Projekt für demenzkranke Menschen unterstützt?

Man wird natürlich im Alter gutmütiger und lässt sich leichter zu was hinreißen. Aber ja, ich hätte das auch mit 34 gemacht.

Spielt Demenz in Ihrem Umfeld eine Rolle?

Nein, zum Glück überhaupt noch nicht. Als Musiker und Produzent habe ich ständig mit neuer Technik zu tun. Das hält einen hirnmäßig wach. Außerdem haben mich 28 Jahre im Gema-Aufsichtsrat jung gehalten. In der Zeit bin ich fast ein halber Jurist geworden. Meine Ärzte sagen mir, dass ich die Konstitution eines 70-Jährigen hätte. Ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so. Aber anders als mein Produzentenkollege Jack White halte ich mich nicht mehr für einen Jungspund.

Sie leben in München. Wie kam der Kontakt zum Demenz-Support Stuttgart zustande?

Das lief über meinen alten Freund Wolfgang Grube, der ist bei der Arbeitsagentur Bereichsleiter der Künstlervermittlung. Über ihn habe ich Peter Wißmann vom Demenz-Support kennengelernt. Peter hat mir einen Rap vorgespielt. Da habe ich gesagt: „Das ist doch keine Musik für ältere Leute. Das verstehen die nicht. Lass mich mal was machen – und ich mache es dir umsonst.“ Wichtig ist mir aber: Die Produktion wendet sich nicht nur an demente Menschen oder ist nur von diesen inspiriert worden. Wir wenden uns ganz allgemein an ältere Herrschaften.

Mit der Produktion haben selbst Sie alter Hase Neuland betreten. Wie lief das genau ab?

Die alten Herrschaften haben uns ihre Geschichten erzählt. Und wir haben dann daraus Schlagertexte gemacht. Also Texte, die zum Singen geeignet sind. In der Hauptsache war das der Job von Donato Plögert, einem Berliner Entertainer, mit dem ich häufig zusammenarbeite. Momentan schreibe ich mit ihm gerade an einem Song, in dem es darum geht, dass einer lieber die Falten am Hintern als im Gesicht hat.

Ich vermute, normalerweise entstehen Schlagertexte anders.

Ja, üblicherweise hat entweder der Komponist oder der Textdichter eine zündende Idee. Am besten, einem von beiden fällt eine Zeile ein wie „Ein bisschen Spaß muss sein“. Darauf lässt sich aufbauen. Mir persönlich ist es lieber, wenn ich so eine Zeile habe. Bei „Liebeskummer lohnt sich nicht“ habe ich sofort „Schade um die Tränen in der Nacht“ dazu gedichtet. Wenn die Musik zuerst da ist, ist es oft mühsam, eine passende Zeile zu finden. Im Idealfall läuft es so wie mit Hans Bradtke, einem super Textdichter, der leider auch schon viele Jahre tot ist. Als er mir den Text zu „Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte“ lieferte, ein Riesenschlager von France Gall, hat er sich gewundert, dass ich den Song runterkomponiert habe, ohne auch nur ein Wort daran zu ändern.

Und wie war es nun bei der CD „Lieder sind Freunde“?

Die Idee, dass wir uns Geschichten von älteren Herrschaften erzählen lassen, kam von Peter Wißmann. Aus diesen Geschichten musste dann Donato Plögert verwertbare Texte machen. Dabei habe ich ihm weitgehend freie Hand gelassen. Klar ist, wenn ich eine CD für Ältere mache, kann ich keine Discomusik verwenden. Das geht besser mit einem Tango oder chansonartigen Kompositionen. Damit lassen sich etwa „Bilder aus Kindertagen“ besser transportieren. Aber das soll nicht heißen, dass nur romantische oder idyllische Lieder herausgekommen sind. „Im Alter muss man frech sein“ besitzt Witz, ebenso wie „Ich möcht’ so gern ein Schlossherr sein“. Wer möchte das nicht?

Was entscheidet mehr über den Erfolg eines Schlagers, der Text oder die Musik?

Mein Freund Ralph Siegelund ich halten den Text im Schlager für genauso wichtig wie die Musik. Deswegen texten wir ja oft mit, ohne dass wir deshalb explizit genannt werden. Wir wollen einfach, dass was Schönes dabei herauskommt und hinterher nicht zu viele konsonantenreiche Wörter vorkommen, die sich nicht so gut singen lassen. Wir sind im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen dringlich am Text interessiert.

Aber ist es nicht die Melodie, die zuerst im Ohr hängen bleibt?

Klar bedarf es einer zündenden Melodie, aber wenn der Song, sagen wir mal, „K 25“ heißt, wird der vermutlich nicht so erfolgreich wie „Zwei kleine Italiener“ oder „Wunder gibt es immer wieder“.

Wie lange haben Sie an den 14 Songs für „Lieder sind Freunde“ gearbeitet?

Das hat schon ein Vierteljahr gedauert – vom Anfang der Idee bis die ersten Texte kamen, an denen man ja immer noch arbeiten muss. Die Produktion selbst lief wie üblich. Ich arbeite mit gespeicherten Klängen, sogenannten Samples. Bis sich das anhört wie von echten Instrumenten gespielt, dauert das seine Zeit. Die Leute denken immer, die Arbeit würde der Computer für uns machen, aber das ist natürlich Quatsch. Der Computer kann sich Dinge merken und sie abspeichern. Aber komponieren kann er nicht. Bis alles so klingt, als sei es live eingespielt worden, ist einige Arbeit notwendig. Das ist der Witz bei der Sache: Würde man mit Musikern arbeiten, wär eine Produktion viel schneller fertig.

Was hat es mit dem Titel „Lieder sind Freunde“ auf sich?

Die Feststellung ist so banal wie wahr: Die Musik ist der Freund des Menschen. Außerdem sind Lieder nicht nur Freunde, sie machen auch Freude.

Und ein Mensch trägt sie oft ein Leben lang mit sich herum.

Ich habe mal einen Song geschrieben: „Das sind die Lieder, die uns ein Leben lang begleiten“. Meistens bleibt das hängen, was man in der Jugend hört. Wenn ich ältere Menschen ansprechen will, muss ich das mit der Musik dieser Generation tun. Ich habe damit als Musiker und Komponist, der sich als Kunsthandwerker versteht, kein Problem. Ich habe ja noch Musik studiert und weiß über die Gesetze der Komposition Bescheid. Das können nicht alle jungen Kollegen von sich behaupten.

Haben Sie einen Lieblingssong auf der CD?

Schwer zu sagen. Wahrscheinlich ist es der Titelsong „Lieder sind Freunde“. Mit dem habe ich, glaube ich, mir viel Mühe gegeben. Da habe ich länger für die Melodie gebraucht als bei anderen Songs. Deshalb hänge ich besonders an ihm. Vermutlich ist es wie im Leben: Die schwierigen Kinder liebt man am meisten.