Die Stadt lässt ihre Straßen auf Schlaglöcher untersuchen. Insgesamt 500 Straßenkilometer werden erfasst und ausgewertet. Das Geld für Reparaturen ist ist allerdings zu knapp, und die Beschwerden häufen sich.

Stuttgart - Mit einem übermotorisierten Sportflitzer und aufheulendem Motor durch die Bolzstraße zu fahren, das hat Daniel Raillon nicht nötig. Wenn er mit seinem Dienstwagen in Stuttgart unterwegs ist, fliegen ihm die Blicke ohnehin zu. Das orangefarbene Gefährt trägt den Spitznamen „rollendes Auge“ – rollend, weil es mobil ist, und Auge, weil es auf der Straße alles erkennt. Der Transporter sieht futuristisch aus, mit Kameras vorne und hinten, mit einer breiten Laserleiste und mit jeder Menge Technik im Inneren. Die Firma Tüv Rheinland Schniering aus Essen scannt damit derzeit die Straßen der Landeshauptstadt ab.

 

Knapp 500 der gut 1400 Straßenkilometer sollen erfasst werden. Bei mehreren Fahrspuren kommen knapp 1200 Kilometer zusammen. Das Spezialfahrzeug ist erst zum zweiten Mal in Stuttgart unterwegs. Zuletzt hat die Stadt 2009 die Daten mit einem solchen Wagen erhoben. Davor wurde der Zustand der Straßen 2005 von Mitarbeitern der Stadt visuell mit tragbaren Computern erfasst, doch das wäre auf Dauer zu personalintensiv gewesen, sagt Sonja Siegert vom Tiefbauamt.

37 Laser sind am Fahrzeug angebracht

An diesem Tag ist Raillon am Flughafen unterwegs. Der Bildschirm neben dem 37-Jährigen zeigt Linien in kräftigen Farben, die für den Laien undefinierbar sind. Sie zeigen das Profil der Straße und machen Neigungen, Spurrillen und Dellen sichtbar.

Die Daten kommen von 37 Lasern, die unten am Fahrzeug angebracht sind. Bürsten schirmen die Laser von der Sonne ab und schützen Fußgänger vor Strahlen. Drei Kameras filmen die Oberfläche der Straße. Ihnen entgeht kein Riss und kein Schlagloch. Zudem blicken drei Panorama-Kameras vor das Fahrzeug und eine nach hinten. Wenn Raillon einen Verkehrsknoten passiert oder die Spur wechselt, gibt er jedes Mal einen Markierungscode ins Gerät ein.

Es gibt Noten für Straßenabschnitte

Was aufgezeichnet wird, sieht Raillon nur am Rande. Die Informationen fließen direkt in drei große Rechner im Fond des Fahrzeugs, während der Fahrer sich auf den Verkehr konzentriert. „Wenn wir über eine rote Ampel fahren, kriegen auch wir Ärger“, erklärt er und lacht. Zwei Terabyte Daten sollen in Stuttgart etwa aufgezeichnet werden. Sind die Straßen erfasst, gehen die gespeicherten Informationen an ein Expertenteam der Essener Firma, das die Strecke anhand der Aufzeichnungen ein zweites Mal mit den Augen abfährt und Auffälligkeiten notiert. Die Ergebnisse werden der Stadt voraussichtlich im August mitgeteilt. Unter anderem gibt es Noten für die Straßenabschnitte – von 1 für sehr gut bis 5 für schlecht.

Die Messung mit dem Fahrzeug ist nicht ganz billig. Rund 130 000 Euro zahlt die Stadt dafür. Allein die Anschaffung des „rollenden Auges“ mit seiner Technik kostet die Essener Firma mehrere Hunderttausend Euro. Bundesweit gibt es nach Angaben der Stadt nur drei oder vier Firmen, die diese Aufgabe übernehmen können.

Raillon genießt es, in Orten Deutschlands und Europas zu arbeiten, in denen andere Menschen Urlaub machen. Besonders gern fährt er an Wochenenden – weil er dann nicht so oft im Stau steht. Seit einigen Wochen sind er und seine Kollegen in Stuttgart im Einsatz – mit Pausen. Zu stark regnen darf es nicht, sonst werden die Ergebnisse „verwässert“.

Auch städtische Mitarbeiter kontrollieren die Straßen

Die Stadt schickt jedoch nicht nur das Messfahrzeug zu Kontrollen los, sondern auch ihre Mitarbeiter. „Wir haben die Verkehrssicherungspflicht. Der müssen wir nachkommen“, sagt Reinhard Noll, Baubezirksleiter für die Oberen Neckarvororte im Tiefbauamt. Wie wichtig regelmäßige Kontrollen sein können, hat erst kürzlich ein Urteil des Heilbronner Landgerichts gezeigt. Der Fahrer eines Cabrios hat Schadenersatz zugesprochen bekommen, nachdem sein Fahrzeug an einem Schlagloch hängen geblieben war. Solche Schäden – und erst recht Verletzte – gilt es zu vermeiden.

In den zwölf Baubezirken der Stadt werden die Fahr- und Gehwege rund ums Jahr überprüft. Jeweils ein Mitarbeiter läuft mit dem Klemmbrett durch den Bezirk und notiert die Schäden. Alle vier Monate sollte jede Straße einmal drankommen, Fußgängerzonen noch öfter. Die Schadenliste zeigt, wo der Sanierungsbedarf besonders hoch ist. „Schlimme Schäden werden natürlich sofort behoben“, betont Noll.

Handlungsbedarf sieht er in seinem Bezirk vor allem in den historischen Ortskernen, etwa in Hedelfingen, Wangen, Ober- und Untertürkheim. Das vor rund 30 Jahren verlegte, rötliche Porphyrpflaster komme jetzt massiv in die Jahre.

Auch Jürgen Mutz, Leiter der städtischen Bauabteilung Mitte/Nord, kennt Schwachpunkte von der Begehung Anfang 2014. Die Heilbronner Straße müsse rund um die Haltestelle Löwentorbrücke dringend instand gesetzt werden. Ein Problem sei auch die Kronprinzenstraße. „Da flickt man schon seit vielen Jahren.“ In der Königstraße seien 14 Zentimeter dicke Steine verlegt worden. Die würden bei Lieferverkehr länger durchhalten.

Erfreulich sei der milde Winter, sind sich beide Experten einig. „Dadurch haben wir weniger Schäden als im Vorjahr. Aber da war es auch extrem“, sagt Mutz. Sein Optimismus ist trotzdem gebremst. Das Geld für Reparaturen sei zu knapp. „Vieles bleibt Flickwerk, und kleine Reparaturen sind unverhältnismäßig teuer.“ Beschwerden von Bürgern nähmen zu.

Zwar hätten die Politiker erkannt, das etwas geschehen müsse, aber es passiere noch nicht genug, so Mutz. „Allein um den aktuellen Status des Stuttgarter Straßennetzes zu halten, bräuchten wir in diesem und nächsten Jahr zehn Millionen Euro und danach 14 Millionen. Bekommen haben wir jetzt knapp neun.“